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256 - Der König von Schottland

256 - Der König von Schottland

Titel: 256 - Der König von Schottland
Autoren: Mia Zorn und Christian Schwarz
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hätten sie vertrieben, und ein Trupp verfolge sie durch die Wälder. Die Fremden seien Freunde. Mehr brauchten die Menschen aus Stirling nicht zu wissen, um beruhigt schlafen zu können.
    Weder hörten sie das unruhige Scharren und Schnauben der Horseys aus den Unterständen beim Marktplatz, noch bekamen sie etwas von den Vorgängen im lang gestreckten Flachbau an der Frontseite des großen Platzes mit.
    Dort flackerte immer noch gelblicher Lichtschein hinter den Fenstern des Ratshauses. Er kam aus den Räumen des Stadtherrn Jed Stuart. Zwar hatte der Linguist seinen Wohnsitz tief in den Highlands, doch bei seinen regelmäßigen Besuchen in Stirling standen ihm hier Schlafraum, Arbeitszimmer und das kleine Kaminzimmer neben der Eingangshalle zur Verfügung.
    Das war auch schon alles, was Matt Drax und Rulfan bisher über ihn in Erfahrung hatten bringen können. Ansonsten hielt sich ihr Gastgeber mit Auskünften bedeckt. Seit zwei Stunden schon saßen sie eingehüllt in warme Fellumhänge mit ihm vor dem prasselnden Kamin. Ihre Kleider trockneten am Feuer und die Reste des fürstlichen Mahls waren weggeräumt. Aruula hatte sich zwei Räume weiter zum Schlafen zurückgezogen. Chira wachte vor der verschlossenen Tür zur Eingangshalle.
    Bis lange nach Mitternacht hatten nur Matt und der Albino von ihren Abenteuern der vergangenen Jahre erzählt. Immer wenn sie das Gespräch auf Jed lenken wollten, wich er ihren Fragen mit Gegenfragen aus oder äußerte sich nur wortkarg.
    Nur als Matt vom Tod Queen Victorias und den letzten Technos um Sir Leonard Gabriel berichtete, die sich beim Angriff eines bislang unbekannten Feindes in Stein verwandelt hatten, zeigte Stuart echte Betroffenheit. »Es tut mir leid um deinen Vater«, bekundete er Rulfan seine Anteilnahme. »Und es dauert mich, dass diese, ähm, großartigen Menschen auf diese Weise aus dem Leben, hm, scheiden mussten.«
    Rulfan nickte nur und starrte dann schweigend in die Flammen. Er hoffte, dass nicht länger als nötig über die Toten gesprochen wurde. Der Verlust seines Vaters war ein herber Schicksalsschlag für ihn gewesen. Dennoch wusste er, dass er den Tod des alten Mannes mit der Zeit verkraften würde. Nicht aber den Tod von Lay, die er in Afraa begraben musste.
    Obwohl schon Monate vergangen waren, kam es ihm vor, als wäre es gestern gewesen. Er vermisste seine Geliebte in jeder Sekunde seines scheinbar sinnlos gewordenen Lebens. Der Gedanke, sie nie mehr berühren zu können, nie mehr ihre Stimme zu hören und nie zu wissen, wie ihr gemeinsames, ungeborenes Kind ausgesehen hätte, brachte ihn manchmal fast um den Verstand.
    Nein, er wollte nicht über die Toten reden! So war er dankbar, als Matthew jetzt ihre jüngsten Erlebnisse in London schilderte und Jed mit wachsendem Interesse begann, Fragen zu stellen. Schließlich wollte er wissen, wie die beiden Gefährten die dortigen Machtverhältnisse einschätzten.
    Matt erzählte von den andauernden Kriegen zwischen Taratzen, Lords und den »Demokraten«, und dass seiner Meinung nach nicht absehbar sei, wer schlussendlich über die Hauptstadt herrschen würde.
    Jed lachte bitter auf. »Keiner!«, rief er. »Sie werden sich alle gegenseitig töten und aus London eine, hm, Geisterstadt machen.« Aufgebracht blickte er seine Gäste abwechselnd an. »Es liegt nicht in der Natur der Menschen, ähm, friedlich miteinander zu leben. Sie brauchen eine, nun, feste Hand, die sie führt. Einen König. Britana braucht einen König!«
    Seine Stimme war so laut geworden, dass Chira alarmiert ihren Kopf hob. Ein leises Grollen drang aus ihrer Kehle. »Ruhig, Chira«, ermahnte Rulfan sie. Dann blickte er wieder hinüber zu Stuart, der über die Vorteile einer Regentenherrschaft dozierte. In seinen Augen glänzte Begeisterung. Ein bisschen wie damals, als Jed noch mit einer fast kindlichen Neugier Sitten und Gebräuche anderer Völker erforschte, Sozialisierungsprozesse durchleuchtete und mit grenzenlosem Enthusiasmus Brücken zwischen fremden Kulturen schlug.
    So weit Rulfan wusste, beherrschte der Linguist acht Sprachen und erlernte ohne große Umstände schnell jeden neuen Dialekt. Niemand sonst wusste so viel über die verschiedenen Clans. Früher nannte Stuart die Barbaren »neue Menschen«. Heute macht er scheinbar Jagd auf sie! , dachte der Albino.
    Doch hatte Jed nicht schon lange zwei Gesichter? Er dachte an die Zeit, als aus dem Menschenfreund ein Zyniker geworden war. Wenn er damals nicht wie ein Besessener hinter
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