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254 - Das Nest

254 - Das Nest

Titel: 254 - Das Nest
Autoren: Michelle Stern
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Deckenleuchten hingen blind im erhaltenen Rundbogen.
    Hier waren einstmals Bahnen entlang gefahren. Nun war die Station halb zusammengebrochen, und eine tiefe Schlucht zog sich an den aufgesprengten Gleisen entlang.
    Zunächst hatten die Taratzen im Bunker siedeln wollen, doch der war voller Schimmel und Ungeziefer. Durch den Wassereinbruch stank es entsetzlich und einen vernünftigen Rauchabzug gab es nicht. Also hatten sie sich eine ehemalige U-Bahn-Station zum Nest erkoren, die nach etlichen Einstürzen nur noch zwei Ein- und Ausgänge bot.
    Rulfan blieb reglos liegen, spielte weiter auf Zeit. Der Taratzenkönig hatte ihn niedergeschlagen, und Rulfan simulierte eine Gehirnerschütterung und dauernde Ohnmachtsanfälle. Doch er wusste nur zu gut: Lange würde sich Hrrney nicht mehr hinhalten lassen. Er wollte, dass Rulfan ihm die Geheimnisse des Bunkers erklärte. Der Taratzenkönig war versessen auf die Tekknik , die Medizin und vor allem auf Waffen.
    Einmal schon hatte Hrrney Rulfan hineintragen lassen in den Bunker, der vor wenigen Jahren noch die Heimat der Community London gewesen war. Die Taratzen hatten tatsächlich einiges an technischem Material aus den zuvor verschlossenen Räumen geborgen, mit dem sie aber nicht viel anzufangen wussten. Und Rulfan verspürte nicht den leisesten Wunsch, diesen Bestien zu erklären, was sie da in der Hand hatten.
    Es war ein glücklicher Umstand, dass Hrrney sich nicht so intensiv um seinen Gefangenen kümmern konnte, wie er es geplant hatte. Seit Tagen waren die Taratzen in Aufruhr.
    Auch jetzt hörte Rulfan wieder die kehlige Stimme des Taratzenkönigs und richtete sich halb auf, um besser sehen zu können, was in der Station vor sich ging. Jemand näherte sich von dem Ausgang her, wo man die Überreste einer Rolltreppe sehen konnte.
    Zwei schwarzfellige Taratzen schleppten über die Treppe daneben ein großes Tuch herab, in dem sie etwas trugen. Hrrney blickte auf die tiefen Einbuchtungen und brüllte los. Rulfan konnte nicht verstehen, was er sagte. Obwohl der Taratzenkönig die Sprache der Menschen beherrschte, verständigte er sich mit seinen Artgenossen in deren natürlichem Idiom.
    Die große, honigfarbene Taratze stampfte mit dem Fuß auf und zischte und knurrte die beiden Träger an.
    Einer von ihnen antwortete devot. Seine Schnauze berührte dabei fast den Boden. In seinem Gezischel meinte Rulfan mehrmals den Namen »Trrayssi« zu verstehen.
    Traysi, die Lordhexe, hatte gemeinsam mit ihm versucht, Hrrney zu täuschen, doch der Taratzenkönig hatte ihre List durchschaut. Früher war die Hexe für ihn eine Göttin gewesen - weil sie ihn mental beeinflusst und so überlebt hatte, nachdem ihr eigener Stamm sie den Taratzen als Opfer dargebracht hatte. Doch bei der Explosion und dem Einsturz der Glaskuppel durch die Demokraten war Traysi schwer entstellt worden. Ihre Zukunftssicht zeigte ihr ständig ein Doppelbild, was ihren Einfluss auf die Taratzen im Allgemeinen und Hrrney im Besonderen mehr und mehr schwinden ließ. Bis sie entschied, mit Rulfan zu fliehen.
    Die Lordhexe hatte eigentlich gedacht, den König der Taratzen noch immer unter ihrer Kontrolle zu haben, doch Hrrney hatte sie getäuscht. Im Bunker war es zu einem kurzen Kampf gekommen, ehe Rulfan und Traysi zum Fluss geflohen waren.
    Die Flucht wäre ihnen sogar fast gelungen, hätten nicht die Demokraten beim Geheimausgang des Bunkers gewartet. Beim anschließenden Kampf war Traysi in die Fluten der Themse gestürzt. Rulfan wusste nichts über ihr weiteres Schicksal.
    Lebt Traysi noch? , dachte er jetzt. Schlägt sie jetzt zurück? Sind die Taratzen ihretwegen in Aufruhr?
    Die beiden Träger legten das Tuch ab, und Rulfan erkannte die zerschmetterte Leiche einer weiteren Taratze. Er hielt die Luft an. Das Biest sah aus, als hätte man es aus großer Höhe zu Boden fallen lassen. Von einem Turm oder Hochhaus vielleicht.
    Seine zerschmetterten Gliedmaßen waren kein schöner Anblick. Der Albino schloss die Augen, lauschte den zischelnden Stimmen aber weiterhin - und schnappte ein weiteres Wort auf, das er kannte: Eluu.
    Eluus waren ins Riesenhafte gewachsene Eulen, die Fressfeinde der Taratzen. Rulfan hatte schon mitbekommen, dass eine davon in der Nähe Londons nistete und immer wieder über der Stadt ihre Kreise zog. Einer der Gründe, warum die Taratzen unterirdisch siedelten. Aber in welchem Zusammenhang konnte Traysi mit einem Eluu stehen? Rulfan hatte nie gehört, dass es jemandem gelungen wäre,
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