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240 - Zeitsplitter

240 - Zeitsplitter

Titel: 240 - Zeitsplitter
Autoren: Manfred Weinland
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nachgiebigen Boden hämmerten. Er hatte impulsiv gehandelt, von der Hoffnung beseelt, mehr über das Geheimnis dieser Tunnel zu erfahren. Und jetzt hinderte ihn sein Verfolger daran, einfach stehen zu bleiben. Diese Blöße wollte er sich Crow gegenüber nicht geben.
    »Bleiben Sie… stehen!«, keuchte der General, dem allmählich die Luft auszugehen schien. »Oder ich… schieße!«
    Er kam nicht mehr dazu, seine Drohung unter Beweis zu stellen, denn jäh veränderte sich der eintönige Korridor vor ihnen. Das Licht schien an Kraft zu verlieren, als hätte jemand an einem Dimmschalter herumgespielt.
    Aber das war es nicht, was Matt den Lauf verlangsamen und schließlich innehalten ließ, genauso wenig wie Crows Drohung.
    Es war die Frau, die einen Steinwurf entfernt neben einer weiteren Abzweigung kniete und vollkommen darin aufging, mit einem scharfen Messer Stücke aus dem Wild herauszuschneiden, das sie ganz offenkundig erlegt hatte. Der Pfeil, der dem Rothirsch zum Verhängnis geworden war, ragte noch aus dessen Hals, und um den reglosen Kadaver hatte sich eine sattrote Blutlache gebildet, in der sich das schwächer gewordene Licht zu sammeln schien.
    3.
    Der Tag hatte eigentlich gut begonnen.
    Die körperlose Stimme Rantt’eks hatte Lityi geweckt wie immer und zu ihr gesprochen. Er hatte ihre Seele entblößt, ihr geschmeichelt und ihr am Ende verraten, dass fette Beute auf sie wartete, wenn sie sich nur geduldig in einem bestimmten Bereich der Welt auf die Lauer legte und, wie schon so oft, ihr Geschick im Umgang mit der Waffe unter Beweis stellte, die sie eigenhändig hergestellt hatte.
    Nach dieser Eröffnung war Lityi sofort hellwach gewesen. Sie hatte sich zur Auffangmulde für das Wasser begeben, ohne das sie längst qualvoll gestorben wäre, und danach hatte sie Kaya versorgt, die Wolfshündin, der es schon seit geraumer Zeit nicht gut ging und die kaum mehr von ihrem Lager aufstand. Lityi hatte zuerst gedacht, sie sei krank. Doch dann hatte sie nachgerechnet und war zu der Möglichkeit gelangt, dass sie vielleicht einfach nur alt – alters schwach – geworden war. Als sie die Hündin vor vier Jahren fand, hatte sie gewiss schon fünf, sechs Jahre auf dem Buckel gehabt. Und musste man Hundejahre nicht mal sieben nehmen, um auf ein vergleichbares Menschenalter zu kommen?
    Dann wäre sie um die siebzig. Irgendwie war Lityi, als sie sich dessen bewusst wurde, traurig geworden und hatte jeden Schwung verloren. Erst Rantt’ek hatte sie wieder aufgepäppelt. Er sprach ihr Mut zu, aber er hatte schon überzeugender in seinen Bemühungen gewirkt als heute.
    Heute war doch kein so guter Tag, aber vielleicht konnten die Jagd und die Aussicht auf Frischfleisch ihn noch retten. Ihre Wolfshündin würde sich über Fleisch freuen. Vielleicht zog sie daraus neue Kräfte.
    Lityi hoffte es. Bevor sie ging, setzte sie sich noch einmal neben den einzigen Freund, den sie hatte. Sie merkte, wie schwer es der Hündin fiel, den Kopf zu heben, deshalb streckte sie den Arm aus und schob ihr die flache Hand unter den schmalen Kopf. Sofort schmiegte sie sich dagegen und entspannte sich. Fast blind, wie es Lityi schien, sah die Hündin sie an. Ein leises Winseln drang aus ihrer Schnauze.
    Zum ersten Mal wurde Lityi richtig bewusst, dass Kaya offenbar Schmerzen hatte. Eigentlich hätte sie sie davon erlösen müssen. Sie hatte nicht verdient, sich so zu quälen.
    Aber dann wäre Lityi allein gewesen. Nur Rantt’ek wäre noch bei und – viel zu oft – in ihr. Aber Rantt’ek war kein Freund. Er war…
    Lityi verdrängte die Gedanken, die doch nur Schwermut weckten.
    Sie verabschiedete sich von Kaya und verließ den Raum, ohne noch einmal hinter sich zu blicken.
    Kaum war sie draußen, züngelte es auch schon heran. Sie ließ es über sich ergehen. Ihr wurde kurz schwarz vor Augen, dann hatte sie schon fast vergessen, dass sie nicht mehr allein war. Im nächsten Verbindungsgang legte sie sich auf die Lauer. Lange. Aber am Ende wurde ihre Geduld belohnt.
    Wilder Hufschlag hatte fette Beute angekündigt. Sie hatte ruhig weitergeatmet, den Pfeil angelegt… und ihn im optimalen Moment von der Sehne schnellen lassen.
    Damit war die Nahrung für viele Wochen gesichert, denn Lityi hatte gelernt, genügsam zu sein. Sie hatte Zeiten durchlitten, in denen sie sich die Haut von den Rändern der Fingernägel genagt hatte, um wenigstens Geschmack in den Mund zu bekommen, sich die Illusion von etwas Essbarem zu schaffen. Dann wieder hatte
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