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236 - Gestrandet

236 - Gestrandet

Titel: 236 - Gestrandet
Autoren: Ronald M. Hahn und Christian Schwarz
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verdächtigte ihn doch nicht, oder? Eher nicht. Aber vielleicht war es angeraten, sich ihre Seele aus der Nähe anzuschauen. Er würde ohnehin gleich in den Einsatz gehen.
    »Ich weiß, dass Sie nicht darüber reden dürfen, Mr. Kenner«, sagte Goldwyn zögernd, »aber… Ich würde ums Verrecken gern wissen, wie es ist, wenn man seinen Körper verlässt.«
    Kenner schluckte. »Tja, was soll ich sagen?« Er spitzte die Lippen. »Ich kann’s nur mit ’nem Klischee beantworten: Es ist unbeschreiblich.«
    »Haben Sie keine Angst, Sie könnten sich… verirren?«
    Bob Kenner dachte spontan an Rayna. Er musste sich zwingen, seinen Schreck zu verbergen. »Wie meinen Sie das?«
    Goldwyn zuckte die Achseln. »Ich frage mich, was aus Ihnen wird, wenn Sie…« Sie schluckte. »Angenommen, Ihr Körper wird vernichtet, nachdem Sie ihn verlassen haben?«
    Kenner erschrak. »Das frage ich mich lieber nicht.« Er bemühte sich, erheitert zu wirken. »Das verunsichert einen ganz schön. Ich glaube aber nicht, dass diese Gefahr besteht.« Was aber, dachte er, wird aus Rayna, wenn ich ihr Id nicht finde?
    »Wann ist dieser Fundamentalisten-Scheiß nur endlich vorbei?«, murmelte Goldwyn. »Wann hören wir auf, uns gegenseitig vorzuschreiben, wie ein gottgewolltes Leben auszusehen hat?«
    In tausend Jahren nicht, dachte Kenner. Im Grunde unterscheiden wir uns doch gar nicht von denen. Der Mensch an sich ist so gepolt. »Sobald es keine Intoleranz mehr gibt«, sagte er stattdessen diplomatisch. »Wenn die Anführer der Besserwisser einen Meter achtzig unter der Erde liegen und ihre Anhänger erkennen, dass sie auf machthungrige Despoten hereingefallen sind.«
    Goldwyn seufzte. »Ich frage mich schon lange, ob unsere Aktionen nicht immer nur neue Generationen von Suizid-Bombern hervorbringen. Diese Typen sind dumm wie Brot und absolut unverbesserlich. Sie jubeln jedem idiotischen Prediger zu, der vorgibt, er träte für ihre Rechte ein. Dabei wollen die dem Mob doch nur Vorschriften machen.«
    »Sie haben recht. Die Welt ist schlecht.« Kenner stand auf. »Und ich glaube, sie war es schon immer.« Er nickte Goldwyn zu. »Ich muss jetzt gehen. Bis später.«
    Beim Verlassen des Kasinos fiel Kenner die leise Hintergrundmusik auf. All You Need is Love. Er riss sich zusammen. Jetzt aber bloß nicht sentimental werden, Alter.
    Auf dem Weg zum Labor dachte er an den Abend, an dem sie sich erstmals begegnet waren: er und der Parasit.
    ***
    7. Februar 2525, Ross-Meer, vor der antarktischen Küste
    Matthew Drax stand im Heck des schwimmenden Etwas, das Käpt’n Nikolaus Borisov nimmermüde als »Handelsschiff« bezeichnete. Matt hingegen hatte andere Worte dafür gefunden, die aber so wenig schmeichelhaft waren, dass er sie Borisov wohlweislich vorenthielt. Sonst wäre der Schelfländer vielleicht noch auf die Idee gekommen, beleidigt zu sein, auch wenn es sich nicht um sein Schiff, sondern um das der Rozhkoi handelte. Immerhin, die Bezeichnung »Nussschale« hatte er mit einem dröhnenden Lachen quittiert und Matt dafür sogar auf die Schulter geklopft.
    Momentan stand Borisov in der winzigen Kombüse und bereitete eine seiner berüchtigten Mahlzeiten zu. Dabei sang er wie üblich allerlei unanständige Lieder, in denen es hauptsächlich um Fegaashaa in seinen verschiedensten Ausprägungen ging. Und weil er einige »Grauschwabbs« auf einem alten Eisenherd briet, in dem offenes Feuer flackerte, qualmte es wie verrückt aus dem Kamin der WELLENSPRINGER.
    Der Mann aus der Vergangenheit lehnte sich an die eiserne Reling, hielt die Nase in den Wind und seufzte. Knapp die Hälfte der einhundert Kilometer vom Außen- zum Innenland hatten sie bereits hinter sich, ohne dass etwas Schlimmeres passiert war. Das Tuckern des Diesels direkt unter ihm hatte etwas Vertrautes. Gedankenversunken befand er sich für einen Moment wieder auf dem Lake Tahoe, wo er als junger Mann das eine oder andere Mal zum Fischen hinausgefahren war.
    Damals haben die Wasserviecher allerdings noch einigermaßen normal ausgesehen. Und heute?
    Ein wehmütiges Grinsen zog über Matts Gesicht, Obwohl das Essen, das Nikolaus Borisov zubereitete, zu Lebzeiten alles andere als normal ausgesehen hatte, gestand er sich ein, dass er sich auf das Dinner freute. Denn das Fleisch des Tieres mit dem originellen Namen »Grauschwabb« hatte sich als äußerst wohlschmeckend erwiesen, ein wenig wie zartes Grillhühnchen aus der alten Welt. Dabei hatten Grillhühnchen und »Grauschwabb« nichts
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