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2359 - Das Stumme Gesicht

Titel: 2359 - Das Stumme Gesicht
Autoren: Unbekannt
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fragte Ushekka, nachdem das Schweigen zu intensiv geworden war.
    Niemand antwortete. Lediglich Taresk, der Wasserträger, warf ihm einen undefinierbaren Blick zu.
    Vier weitere Hauri blieben über die Leiche jenes Landsmannes gebeugt, der dem Stolzen Herrn als Letzter begegnet war.
    Mehrere Robotdrohnen umschwirrten den schlaffen Körper und sammelten Daten, die den Ärzten möglicherweise entgingen.
    Größe, Gewicht, Wassergehalt im Blut, Ernährungszustand und Hautkolorit wurden festgehalten. Winzige Gewebestückchen sowie Blut- und Urinproben schwebten in aseptischen Energiefeldern zu Tests und Untersuchungsläufen, die in Nebenräumen stattfanden.
    Es schnalzte laut, als der Chefmediker die Bauchhaut des Körpers mit dem Vibroskalpell auseinander schnitt.
    Ushekkas Gesicht blieb unbewegt. Von ihm wurde erwartet, dass ihn die Obduktion keineswegs schreckte. Nüchtern musste er die Sachlage beurteilen, durfte sich nicht jenen störenden Gefühlen hingeben, die latent in seinem Volk verankert waren.
    Die Innenbesichtigung der Brust-, Halsund Bauchorgane schien eine Ewigkeit zu dauern. Übelkeit kitzelte in Ushekkas Magen, verstärkt durch das Brutzeln getöteter Insekten. Selbst hier, im achten Untergeschoss der Festung, musste man sich mit robotischen Minilasern kleiner Aasfresser erwehren. „Bei der Virtopsie wurden mehrere Fremdkörper im oberen Rachenraum gefunden", dröhnte plötzlich eine Stimme über die Lautsprecher.
    Die Virtopsie. Sie war bereits vor einiger Zeit erfolgt.
    Warum verließ man sich nicht vollends auf die Abtastung durch Magnetresonanz-Spektroskopie oder -Tomographie? Ein Leichnam musste, wie Ushekka wusste, schon längst nicht mehr geöffnet werden, um alles über ihn zu erfahren. Aber hier, in der Hauri-Festung, wurde mit äußerster Akribie gearbeitet und jedwede Möglichkeit beansprucht, um den Leichnam noch einmal „sprechen" zu lassen. Sie wollten schließlich wissen, wie ihn der Stolze Herr getötet hatte. „Ich habe die Fremdkörper geborgen,", sagte einer der anwesenden Ärzte.
    Täuschte sich Ushekka, oder klang Überraschung in seiner Stimme? „Sechs der Lytrila-Kristalle", sagte Taresk gepresst. „Dieser Naigon hat sie dem Toten einfach in den Rachen gestopft. Als wären sie nichts wert ..."
     
    *
     
    „Ich verstehe es nicht", sagte Ushekka zum wiederholten Mal.
    Unruhig marschierte er im Vorhof auf und ab. Seine Schritte klangen hohl, vom Echo der hohen und weiten Räume zurückgeworfen.
    Taresk stand aufrecht und steif beim Wartetisch, dem einzigen Möbel des Raums. Er meditierte.
    Mehrere schwer bewaffnete Hauri bewachten das große Tor, das ins Zentitorium führte.
    Die Zimmerwache des Obersten, dachte Ushekka und verlangsamte seinen Schritt.
    Frauen waren es allesamt, mit hohlen, eingefallenen Wangen und grauweißer Hautfarbe. Schönheiten, dezent mit Samtkreide und Pottaschen-Mascara geschminkt; die Zahnkronen waren mit Kristallinflitter überzogen. Deutlich ragten sie hinter kosmetisch zurückgestutzten Lippen hervor.
    Ushekka unterdrückte einen Seufzer. Die flachbrüstigen, sehnigen Wächterinnen würden für immer und ewig unerreichbar bleiben.
    Die Frauen starrten an ihm vorbei; lange, filigrane Stäbe in Händen, aus deren Spitzen rotblaue Flammenzungen waberten. „Eintreten!", befahl eine schrille Stimme in herrischem Befehlston über Akustikfelder.
    Ushekka gesellte sich zu Taresk, während er seinen grauen Einheitsanzug zurechtrückte. Die Zimmerwache machte ihnen Platz, das Tor öffnete sich; gerade so weit, dass sie hintereinander das Zentitorium betreten konnten. „Näher kommen!", befahl dieselbe Stimme.
    Langsam und gemessenen Schrittes marschierten sie auf den Obersten zu.
    Ushekka hatte ihn niemals zuvor zu Gesicht bekommen. Auch kannte niemand seinen wahren Namen. Seit über 30 Jahren regierte er die Ay'Va mit eiserner Hand.
    Er saß an einem riesigen Schreibtisch, der erhöht auf einem Sockel stand, umgeben von modernsten Gerätschaften. Ein virtueller Befehlskubus umschloss ihn weitläufig, in dem Dutzende Trivid-Felder durcheinander irrlichterten. Robotische Helfer mit sirrenden und blinkenden Flügeln verschoben auf die leisen Anweisungen des Obersten hin Markierungen, zeichneten neue, für Ushekka verwirrende Schemata in die Luft oder kümmerten sich um Schriftverkehr.
    Schreibfolien raschelten leise. Boten-Roboter krabbelten scharrend über den marmornen Fußboden und verschwanden in dunklen Löchern. „Aus!", rief der Oberste und hob
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