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235 - Auf dem sechsten Kontinent

235 - Auf dem sechsten Kontinent

Titel: 235 - Auf dem sechsten Kontinent
Autoren: Michael M. Thurner
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während der letzten fünfzig Jahre gewachsen sein«, sagte Matt laut, um sich gleich darauf in Gedanken zu korrigieren: Der Impaktwinter nach Kristofluu hatte aller Wahrscheinlichkeit nach zuerst hier in der Antarktis geendet. Von den steigenden Temperaturen bevorzugt, hatten sich auf dem sechsten Kontinent Leben und Wachstum das Terrain, das ihnen von der Eiszeit genommen worden war, früher als anderswo zurückerobert.
    Der Unterwasser-Sockel des antarktischen Kontinents lief ruhig und sanft ansteigend aus. Der Wald aus Wasserbäumen indes wurde dichter und dichter; mehrfach musste Matt die Transportqualle zum Umkehren bewegen und einen anderen Weg durch das labyrinthische Gewirr suchen. Die myriadenfach verästelnden Strukturen erschienen Matt als viel zu schön, viel zu majestätisch, um sie zu zerstören.
    Sie tauchten auf. Einen Kilometer vor ihnen ragte eine Wand aus dem Wasser. Ein Riff, eisfrei, aber verkrustet und voll von bizarr ineinander verwobener Gesteinsteile. Ausläufer der Wasserbäume hatten sich an Land gewagt. Sie klammerten sich eng an den Fels. Ihre Wurzeln, mit denen sie wohl dringend benötigte Nährstoffe aufsogen, ragten ins Wasser. Die Bäume gaben den Riffstrukturen rotgelbe Farbtupfen, die Matt an den Herbst in seiner Heimat Riverside erinnerten.
    »Es wird nicht leicht werden, da durchzukommen«, sagte Matthew. »Hoffentlich nimmt die Qualle keinen Schaden.«
    »Willst du etwa mit Gewalt durch den Wald steuern?« Aruula griff sich an die Schläfen. »Diese Bäume leben! Sie haben ein gemeinsames Bewusstsein.«
    »Ein… Kollektivbewusstsein?« Matt konnte nicht glauben, was er da hörte. »Willst du behaupten, diese Bäume wären telepathisch begabt?!«
    Rotbraune Baumausleger rieben im Takt sanfter Wellen über die Transportqualle. Ihre Bewegungen erzeugten ein schrilles Geräusch.
    »Ihre Gedanken sind nicht besonders stark ausgeprägt«, sagte Aruula, »aber dennoch… Mir kommt es vor, als hörte ich einen Chor von Babys plappern.«
    »Bist du dir sicher?«, fragte Matt nach.
    Aruula blickte ihn empört an. »Vertraust du mir nicht?«
    »Natürlich. Aber Wasserbäume, die ein gemeinsames Bewusstsein entwickeln – das erscheint mir schon ziemlich… bizarr.«
    »Der Wald lebt!«, beharrte die Barbarin. »Ich möchte nicht, dass du seine Teile zerstörst. Wir werden andere Wege finden, um ans Ziel zu kommen.«
    »Na schon«, seufzte Matt. »Dann sehen wir zu, dass wir eine Art… Furt finden.«
    Mit aller Vorsicht brachte er die Transportqualle zurück in die offene See und steuerte sie weiter parallel zum Riff. Doch am Ufer änderte sich nichts. Auch nach mehreren Kilometern war keine Lücke in der Wipfeldecke des unterseeischen Waldes zu entdecken.
    Eine Stunde verging, dann zwei, und noch immer war kein Ende abzusehen. Ein weiterer Tag ging zur Neige. Matt brachte die Transportqualle zu einem Halt. An dieser Stelle zeigte sich der »Bewuchs« erstmals weniger dicht. Die Entfernung zur Riffwand betrug weniger als fünfzig Meter.
    »Wir schwimmen«, sagte er kurz entschlossen. Die bionetischen Anzüge würden sie vor den eisigen Temperaturen schützen. »Ich möchte endlich wissen, was sich hinter dem Riff befindet.«
    ***
    Sanfte Wellen wogten über den Wald hinweg, eine geringe Strömung bewegte die aus dem Wasser ragenden Äste der Bäume. Grüne und gelbe Blätter, fein und regelmäßig geädert, reckten sich dem Sonnenlicht entgegen. Blüten leuchteten blutrot; sie wurden von winzigen Wasserinsekten umkreist, die ebenfalls Teil dieses seltsamen Lebenskreislaufes zu sein schienen wie die Grundelfische, deren Kot die Wurzeln der Bäume düngte.
    Matt setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Er achtete auf Wurzeln und auf Zweige. Sie hatten gut daran getan, die Tauchanzüge überzuziehen. Die Vegetation war unglaublich scharfkantig. Vermutlich schützte sie sich so gegen Feinde und bot einem Teil der Fauna Unterschlupf.
    »Vorsicht!«, mahnte die Barbarin. »Die Wasserbäume können unsere Anwesenheit fühlen.«
    »Wie ist ihre… Stimmung?«
    »Sie sind grundsätzlich misstrauisch, aber auch neugierig. Sie kennen Menschen, haben schon früher mit ihnen zu tun gehabt. Aber die Erinnerung daran ist… weit weg.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Matt.
    »Der Wald sieht sich als ein einziges, riesiges Lebewesen«, antwortete Aruula, die wenige Meter neben ihm durch das jetzt immer flacher werdende Wasser watete. »Doch jeder Baum besitzt eigene Sinne. Er gibt an alle weiter,
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