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235 - Auf dem sechsten Kontinent

235 - Auf dem sechsten Kontinent

Titel: 235 - Auf dem sechsten Kontinent
Autoren: Michael M. Thurner
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andere Qualitäten…«
    »Zugegeben. Aber Sex ist nicht alles. Vor allem dann nicht, wenn unser aller Leben auf dem Spiel steht.«
    »Aber das tut es doch schon, seitdem unsere Vorfahren im Dom heimisch geworden sind! Und es hat sich noch immer ein Ausweg gefunden.«
    Pierre sah sie an. Bittend, flehend. »Hilf mit! Nur heute!«
    Nanette dachte nach und sagte dann verdrießlich: »Also gut. Aber du bist schuld, wenn ich mir weh tue.«
    Pierres verbissener Gesichtsausdruck wurde weicher, jeder Ärger verschwand. Sie wusste schon, warum sie ausgerechnet ihn ausgewählt hatte. Der untersetzte Mann mit dem breiten und kräftigen Oberkörper war schwach. Zu schwach für sie. Nanette konnte ihn formen, wie sie wollte.
    Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Oberlippe, zog den Overall enger und stapfte den abgesteckten Weg entlang zu einer etwas abseits gelegenen Wellblechhütte. Maria und Sophie standen dort beisammen. Offenbar planten sie ihr Tagwerk.
    Die beiden Frauen, ein paar Jahre älter als sie, aber längst vom anstrengenden Leben im ewigen Eis gezeichnet, blickten ihr misstrauisch entgegen.
    »Kann ich euch helfen?«, rief ihnen Nanette zu.
    »Helfen?« Sophie sah sie überrascht an. »Aber… du …«
    »Ihr müsst müde sein, ihr beiden. Ich möchte euch zur Hand gehen. Schlichtet ihr die Vorräte um?«
    Sophie fing sich. In ihrem verhärmten Gesicht zeigte sich so etwas wie Interesse. »Wir bereiten alles für den Tag X vor. Das Eis zerbröckelt unter unseren Füßen, wie du weißt. Seit mehr als zehn Jahren erwärmt sich das Land in einem ungewöhnlichen Ausmaß – und verändert sich entsprechend. Das Schelf wird zerbrechen. Hohlräume und riesige Gletscherspalten entstehen, unterirdische Flüsse verstärken den Abschmelzvorgang…«
    »Das weiß ich doch alles, Schätzchen.« Nanette hatte Lust auf eine Zigarette. Pierre bewahrte noch mehrere Schachteln in einem Geheimversteck auf. Tabak, der die Jahrhunderte überdauert hatte. Sie würde heute Nacht ganz besonders nett zu ihm sein, damit er ein oder zwei Stück herausrückte. »Wir werden den Dom samt der unterirdischen Bereiche leer räumen und an einen anderen, sicheren Ort übersiedeln.«
    »So ist es, Nanette. Wir können aber nicht alles mit uns schleppen. Also müssen wir die Spreu vom Weizen trennen. Was nicht lebensnotwendig ist, bleibt hier. Die alten Instrumente unserer Vorfahren, zum Beispiel…«
    Sophie redete weiter auf sie ein, während sich Maria davonmachte. Die Ärztin war von einem unglaublichen, widerlichen Arbeitseifer beseelt. Sie hatte die Nacht über Wachtdienst an den Geräten in Dom Eins gehabt. Nach nur drei oder vier Stunden Schlaf war sie bereits wieder aktiv und packte mit an. Mit müden Bewegungen wühlte sie sich durch den eisbedeckten Zugang zum Vorratslager.
    Nanette fror. Die Temperaturen lagen um den Gefrierpunkt, doch der stetige Westwind ließ sie weitaus tiefer erscheinen. Sie dachte an die wulleweichen Decken, die in der kleinen, mit Pierre geteilten Wohneinheit auf sie warteten. Es hatte ihr viel Mühe gekostet, um Davide, den derzeitigen Projektleiter, davon zu überzeugen, dass ihr Mann und sie als Pärchen ein Anrecht auf ein eigenes Zimmer hatten. Auch jetzt, nach mehr als drei Jahren, musste sie Davide noch einmal in der Woche ihre Dankbarkeit beweisen. Dann, wenn Pierre auf einem der Außenposten Wache schob oder irgendwelche sinnlosen Experimente im ewigen Eis vollführte.
    »… hörst du mir überhaupt zu, Nanette? NANETTE!«
    »Wie bitte?« Sie klimperte mit den Augenlidern, bis sie sich bewusst wurde, dass sie Sophie gegenüberstand. Der frigiden alten Schachtel konnte sie mit ihren körperlichen Reizen nicht beikommen – das wusste sie nur zu gut. »Entschuldige, Liebste; ich musste gerade über Pierre nachdenken. Du weißt ja, wie das ist mit den Männern.«
    »Nein, das weiß ich nicht.« Sophie nahm sie am Arm und schob sie zum Eingang des Vorratslagers. »Du gehst jetzt da rein und machst, was Maria dir sagt. Hast du mich verstanden?«
    »Natürlich, Sophie-Schätzchen. Ich bin ja nicht dumm…«
    Sie quetschte sich durch den Eingang und achtete darauf, dass sie nicht die vom Wind geformten Eisstrukturen berührte, die auf der stark strukturierten Innenseite des Tors klebten. Ihre zarten Finger vertrugen keine Kälte.
    ***
    »Unsere Vorfahren haben’s nicht leicht gehabt, wie?«, fragte sie Maria, während sie ihr einen Eispfropfen reichte, der aus unerfindlichen Gründen seit vielen hundert Jahren
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