Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2312

2312

Titel: 2312
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
die Bildschirme und Würfel: »Stimmt’s?«
    Er lachte und weinte zugleich. »Klar!« Schniefend rieb er sich durchs Gesicht. »Das ist doch blöd. Diese Hybris. Die Wirklichkeit reparieren zu wollen, meine ich.«
    »Aber es ist gut«, erwiderte Swan. »Du weißt, dass es gut ist. Es hat dir siebzig Jahre mit Alex verschafft. Und es gibt dir etwas zu tun.«
    »Das ist wahr.« Er seufzte schwer und blickte zu ihr auf. »Aber … ohne sie wird es nicht dasselbe sein.«
    Diese Wahrheit erfüllte Swan mit einem Gefühl der Trostlosigkeit. Alex war ihre Freundin gewesen, ihre Beschützerin, ihre Lehrerin, ihre Stief-Großmutter, ihre Ersatzmutter, all das – aber auch eine Art zu lachen. Ein Quell der Freude. Ihre Abwesenheit erzeugte eine innere Kälte, tötete Swans Gefühle ab und hinterließ nichts als eine öde Leere. Pures, dumpfes Bewusstsein. Ich bin da. Das hier ist die Wirklichkeit. Niemand entkommt ihr. Geht nicht weiter, muss weitergehen; hier blieben sie immer stecken.
    Also ging es weiter.
    Es klopfte an der Tür zum Labor. »Herein«, rief Mqaret etwas harsch.
    Die Tür öffnete sich, und im Durchgang stand ein Kleines. Sehr gut aussehend, auf diese besondere Art, die man bei Kleinen oft sieht – schon älter, schlank, in einer lässigen blauen Jacke, der ordentliche blonde Pferdeschwanz wippte auf Höhe von Swans Hüfte, die Augen blickten wie die eines Langurs oder Seidenäffchens zu ihnen auf.
    »Hallo Jean«, sagte Mqaret. »Swan, das ist Jean Genette aus den Asteroiden, ursprünglich wegen der Konferenz hier. Jean war eng mit Alex befreundet und ermittelt dort draußen für die Liga. Ich denke, Jean hat einige Fragen an uns. Ich hatte bereits erwähnt, dass du vielleicht hier vorbeikommen würdest.«
    Jean legte die Hand aufs Herz und nickte Swan zu. »Mein aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust. Ich bin allerdings nicht nur hier, um das zu sagen, sondern auch, weil nicht wenige von uns besorgt sind. Alex hat bei vielen unserer wichtigsten Projekte eine zentrale Rolle gespielt, und ihr Tod kam unerwartet. Wir möchten sicherstellen, dass diese Projekte weiterlaufen, und ehrlich gesagt wollen einige von uns sich auch dringend Gewissheit darüber verschaffen, ob sie eines natürlichen Todes gestorben ist.«
    »Ich habe Jean bereits versichert, dass dem so ist«, teilte Mqaret Swan mit, als er ihren Gesichtsausdruck sah.
    Genette wirkte nicht gänzlich überzeugt von dieser Beteuerung. »Hat Alex Ihnen gegenüber jemals Feindschaften oder Drohungen erwähnt – Gefahren irgendwelcher Art?« Die Frage war an Swan gerichtet.
    »Nein.« Swan überlegte. »So jemand war sie nicht. Ich meine, sie war immer sehr positiv eingestellt. Sie hat darauf vertraut, dass alles gut gehen würde.«
    »Ich weiß. Sie haben ja so recht. Aber gerade deshalb würden Sie sich vielleicht daran erinnern, wenn Alex einmal etwas gesagt hätte, das nicht ihrem gewöhnlichen Optimismus entsprach.«
    »Nein. An etwas Derartiges kann ich mich nicht erinnern.«
    »Hat sie ein Testament hinterlassen, oder einen Trust? Oder eine Nachricht, die im Falle ihres Todes geöffnet werden sollte?«
    »Nein.«
    »Einen Nachlass-Trust hatten wir«, sagte Mqaret kopfschüttelnd. »Aber der enthält nichts Besonderes.«
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich mal in ihrem Arbeitszimmer umsehe?«
    Alex hatte ihr Büro in einem Zimmer gegenüber von Mqarets Labor eingerichtet, und Mqaret nickte nun und führte den kleinen Inspektor über den Korridor. Swan hängte sich an sie dran. Sie war überrascht, dass Genette von Alex’ Arbeitszimmer wusste und dass Mqaret es so bereitwillig zeigte; und sie war überrascht und verstört von der Vorstellung, dass Alex Feinde gehabt haben könnte, von dem Ausdruck »natürliche Todesursache« und seinem implizierten Gegenteil. Alex’ Tod wurde von einer Art Polizeibehörde untersucht? Sie konnte es nicht fassen.
    Während sie in der Tür saß und versuchte, die Bedeutung von all dem zu begreifen, damit fertigzuwerden, durchsuchte Genette sorgfältig Alex’ Büro, zog Schubladen auf, lud Dateien herunter und strich mit einem dicken Stab über alle Oberflächen und Gegenstände. Mqaret schaute die ganze Zeit ungerührt zu.
    Schließlich war Genette fertig, baute sich vor Swan auf und musterte sie neugierig. Da Swan auf dem Boden saß, befanden sie sich etwa auf Augenhöhe. Anscheinend wollte der Inspektor ihr noch eine Frage stellen, überlegte es sich dann jedoch anders. Schließlich sagte Genette
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher