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2312

2312

Titel: 2312
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Terminator erinnerte; aber diese Treppen waren jeweils vier bis fünf Kilometer lang und erstreckten sich wahrscheinlich über drei- bis vierhundert Höhenmeter – angesichts der gewaltigen Ausmaße des Vulkans außerhalb des Zelts ließ sich die genaue Höhe nur schwer abschätzen.
    Das Epithalamium war der Hochzeitstag für Marsianer und für Besucher aus dem ganzen Sonnensystem. Derzeit herrschten reger Betrieb und lautes Geplapper auf dem Festplatz. Einige Hundert Paare liefen mit ihrem Gefolge über die Treppen, auf der Suche nach den für sie reservierten Terrassen. Zu dem festlichen Anlass waren alle drei Treppen mit Blumen überhäuft. Man konnte es nicht vermeiden, auf die Blüten zu treten, sodass die großen Quarzitfliesen von bunten Flecken übersät waren.
    Wahram und Swan und ihr Gefolge erreichten ihre Terrasse, die Nummer 312. Als Swan sah, dass ihre Freunde die Terrasse so mit Blumen geschmückt hatten, dass es den Eindruck erweckte, als würde Terminators Große Treppe durch die Muschelarchitektur auf Iapetus verlaufen, lächelte sie und umarmte Wahram. Lächelnd standen sie zusammen da, während ihre Freunde ihnen applaudierten. Wahram war in saturnianischem Schwarz gekleidet und sah aus wie ein grausamer römischer Kaiser oder, ja, wie ein riesiges Amphibium. Herr Kröte ließ sich auf eine wilde Sache ein, das konnte man wohl sagen. Swan sah in ihrem roten Kleid aus wie eine flammende Rose. Sie ließ Wahrams Hand nicht los, als sie die kleineren Stufen zu einem Podium emporstiegen, auf dem sie die Zeremonie abhalten würden.
    Überall auf dem Festgelände wurde musiziert, und von der nächst tieferen Terrasse hörten sie deutlich einen Gamelan, aber die einander überlappenden Melodien gehörten zum Epithalamium-Erlebnis, und ihre eigene Zeremonie sollte vom treibenden Finale von Brahms’ Zweiter Sinfonie begleitet werden – Wahram hatte das Stück ausgewählt, und Swan hatte seine Wahl gefallen. Sie wandte den Blick nicht von ihm ab, während Genette auf Passepartouts Bildschirm tippte, um das Gedicht aufzurufen, das verlesen werden sollte. Wahram schien vor allem die Aussicht zu genießen. Es war noch immer Morgen, und das schräg einfallende Sonnenlicht badete sie in beinahe merkurianischem Glanz. Es war ein riesiger Planet. All die Paare über und unter ihnen vollführten ihre jeweiligen Hochzeitsriten. Es war so viel Platz, und die Musik war so vielfältig, dass jede Zeremonie in ihrer eigenen kleinen Blase von einer Welt stattfand; aber der Anblick und der Klang von alldem auf einmal war sehr wohl Teil jeder einzelnen Feier.
    In ihrer speziellen Blase waren Saturn und Merkur vertreten. Mqaret war da und auch Wang und Kiran und einige von Swans Kollegen von der Farm. Und Zasha. Wahrams Hort wurde durch Dana und Joyce vertreten, und durch den Satyr von Pan. Sie alle standen in einer ungeordneten Ansammlung um das Podium herum, aber trotzdem ließen die beiden Gruppen sich leicht voneinander unterscheiden, die Saturnianer in ihren Schwarz-, Grau- und Blautönen und die Merkurianer in Rot und Gold. Es gab auch eine Gruppe von Genettes alten marsianischen Freunden, darunter viele Kleine. Angeblich beabsichtigten alle Kleinen, die an der Feier teilnahmen, sich im Anschluss zusammenzufinden und Kleinen-Kultlieder wie »Ich traf sie in einem Restaurant auf Phobos« und »Liebliche Rita, meterlange Maid« und »Den Zauberer wollen wir besuchen« zu singen.
    Alle auf der Terrasse sahen glücklich und zufrieden aus. Sie sahen einander an und lächelten: Unsere Freunde machen etwas Verrücktes, sagten ihre Blicke, etwas Verrücktes und Schönes, ist das nicht toll? Liebe – eine Art Sprung der Vorstellungskraft. Unerklärlich. Es würde eine verdammt gute Party werden.
    Auf einem Pult stehend und damit beinahe auf Augenhöhe mit Wahram und Swan hob Genette ihre ineinander verschränkten Hände empor und sagte: »Ihr beiden, Swan und Wahram, habt beschlossen zu heiraten und Lebensgefährten zu werden, solange ihr beiden lebt. Wahram, stimmst du dem zu?«
    »Dem stimme ich zu.«
    »Swan, stimmst du dem zu?«
    »Ja.«
    »Dann sei es so. Lebt fortan zusammen, und ihr alle hier, helft ihnen dabei. Ich trage nun einige Zeilen von Emily Dickinson vor, die wunderbar die Symbiogenese beschreiben, die diese beiden erstehen lassen wollen:
    Für immer Ihm zur Seit zu gehen –
    Hirn seines Hirns –
    Blut seines Bluts –
    Zwei Leben – jetzt – ein Sein
    Einander – lebenslang – zu kennen
    Und niemals
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