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224 - Im Turm des Warlords

224 - Im Turm des Warlords

Titel: 224 - Im Turm des Warlords
Autoren: Ronald M. Hahn
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was hier gespielt wird, und mit welchen Rollen…«
    ***
    Es war kurz vor Morgengrauen.
    Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die ersten Sterne durch die Dämmerung bohrten. Ich dachte an eine Zeile aus einem alten Song, die da lautete: »The darkest hour is just before the dawn.« Ich hatte vergessen, von wem sie stammte, aber die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass es jemand war, der in seinem Leben einiges durchgemacht hatte.
    Ich hielt mich in der Roziere auf. Die Luke stand weit offen. Aruula saß draußen auf dem Boden, lehnte mit dem Rücken an einer Zinne, umschlang ihre angezogenen Knie mit den Armen und beobachtete mit verklärtem Blick Hetman Lulungu, der die Tanks der Dampfmaschine gerade mit Wasser befüllte und hin und wieder zu ihr hinüber lächelte.
    Ob er glaubte, sie würde ihn anschmachten? Bestimmt ahnte er nicht, dass Aruula ihn in Wahrheit belauschte. Vermutlich wusste er nicht einmal, dass es Menschen gab, die die Gabe hatten, Gedanken zu lesen. Aruula war jedoch keine Telepathin im klassischen Sinn: Sie konnte nicht in anderen Menschen lesen wie in einem Buch. Sie konnte aber Gefühlszustände erkennen, Gedankenbilder empfangen und mit Leichtigkeit erfassen, ob jemand log oder die Wahrheit sagte. Ihre Gabe war ein kompliziertes Wahrnehmungssystem, das allen Frauen vom Volk der dreizehn Inseln zueigen war. Nicht mal sie selbst konnte es konkret erklären.
    Gleichzeitig war die Gabe ein Fluch, denn ihretwegen wurden die Frauen ihres Volkes bevorzugt von umherziehenden Horden entführt, die eine »Lauscherin« in der Sippe gut gebrauchen konnten. Dieses Schicksal hatte auch Aruula durchlebt. Als ich sie vor über acht Jahren traf, gehörte sie einem Stamm der Wandernden Völker unter Häuptling Sorban an, der sie als Kind geraubt hatte.
    Während ich die Roziere befeuerte, erfuhr ich von Yann, der aus bekanntem Grund den Laderaum nicht verlassen konnte, alles, was er über den Herrscher der Nordküste wusste: dass er ein Despot war, mit Gewalt auf jeden einwirkte, dem seine Politik nicht schmeckte, dass Maometh sich nicht hatte anstrengen müssen, um das halbe Land gegen ihn zu mobilisieren…
    »Außerdem«, sagte Yann durch die angelehnte Tür, »scheint mir deine Auskunft, dass die Leute hier im Turm mehr oder weniger Wyludas Verwandte sind, nur eins zu besagen: Alle anderen haben sich von ihm abgewandt. Dass seine Leute zu ihm stehen, hat nichts mit Loyalität zu tun: Er hat ihnen Privilegien eingeräumt, die sie schamlos ausgenutzt haben. Sie sind mitschuldig an allem, was er angerichtet hat, und haben bestimmt nicht weniger Dreck am Stecken als er. Deswegen müssen sie an seiner Seite bleiben.«
    »Klingt logisch«, ächzte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
    »Ist euch eigentlich aufgefallen«, ließ sich Yann vernehmen, und nur anhand der Anrede konnte ich erkennen, dass nun Gilam’eshs Stimme aus ihm sprach, »dass mit den Zeitabläufen etwas nicht stimmen kann?«
    »In wie fern?«, fragte ich.
    »Nun«, fuhr der Hydritengeist in Yanns Kopf fort, »wenn Keetje nach Hetman Lulungus Aussage schon vor einigen Tagen hier aufgetaucht ist, wie konnte sie dann erst vorgestern den Segler der Komoraner abfackeln?«
    »Vielleicht hat irgendein Spitzel Wyludas im Fischerdorf gesehen, dass sie an Bord gebracht wurde«, sinnierte Yann. Es war bizarr zu hören, dass er sich quasi selbst antwortete. »Vielleicht hat er sich im Dunkeln an Bord geschlichen, um sich eine Belohnung zu verdienen. Vielleicht hat er die Quakadu in Brand gesteckt, um sich Keetje in der allgemeinen Verwirrung zu schnappen und mit ihr über Bord zu springen. Dann war oder ist sie als Gefangene hier – und ihre Flucht ein Märchen. Vielleicht hat Wyluda sie foltern lassen, damit sie ihm sagt, wo er mich finden kann. Und jetzt« – seine Stimme fing an zu zittern – »sieht sie so aus, dass er sie uns nicht mehr… zeigen kann.«
    »Mal bloß nicht Orguudoo an die Wand«, sagte ich. »Aber wie ist der Spitzel mit Keetje durch den Belagerungsring gekommen?«
    »Vielleicht gibt’s einen Geheimgang«, sagte Yann. »Oder er hatte auch so einen Gleiter; einen für zwei Personen. Ist doch eigentlich auch egal, oder?«
    Ich hatte meine Zweifel an diesen Theorien, aber im Grunde hatte Yann Recht: Wie Keetje in den Turm gekommen war, war nur von akademischem Interesse. Wir wussten doch nicht mal, wann Maometh seinen Ring so eng um den Turm gelegt hatte. Vielleicht erst eine halbe Stunde vor unserer Ankunft?
    Als ich
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