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223 - Die Sünden des Sohnes

223 - Die Sünden des Sohnes

Titel: 223 - Die Sünden des Sohnes
Autoren: Jo Zybell
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einen Telepathen musste es so sein, als wäre ihm ein Stück seiner Persönlichkeit entrissen worden. Oder ging der Verlust bei Aruula sogar noch weiter? Hatte ihr der Zweikampf der Giganten einen Teil ihrer Erinnerung geraubt?
    »Was ist mit dir?«, fragte Rulfan. Auch er hatte längst gemerkt, dass dort hinter dem Kartentisch nicht die Aruula hockte, die er kannte.
    »Ich bin müde«, sagte sie. Die Männer tauschten einen Blick, aber Matt wagte nicht, seine Vermutung auszusprechen. Er konnte nicht abschätzen, wie Aruula darauf reagieren würde. Aber er musste bei nächster Gelegenheit mit Rulfan darüber reden. Der wandte sich wieder den Armaturen zu, Matt ging zum Steuerruder. Er lenkte das Luftschiff in Richtung Süden.
    »Wohin bringt ihr mich?«, wollte Aruula wissen.
    »Zur Hauptstadt des Kaisers Pilatre de Rozier«, sagte Matt Drax. »Sie heißt Wimereux-à-l’Hauteur. Victorius und sein Vater sind dort…«
    Plötzlich stöhnte Aruula auf. Die Männer fuhren herum – wie unter starken Kopfschmerzen presste Aruula Lippen und Lider zusammen und drückte die Fäuste gegen ihre Schläfen.
    ***
    In der Nacht waren sie in einen Propellerraum an der Südostecke der Wolkenstadt eingedrungen. Von dort führte ein Wartungsgang unter den Boden der Stadt und hinein in die Raumgitterkonstruktion, die den Trägerballon umgab. In diesem Gang warteten Grao’sil’aana und Mombassa den neuen Tag ab.
    Als sie im Morgengrauen den ersten Kampflärm hörten, ließ der Daa’mure den Generalfeldmarschall im Wartungsgang zurück und kroch hinaus in das Geflecht aus Bambusrohren und Seilen. Er veränderte seine Gestalt, zerfloss förmlich. Flach und breit wie ein Rochen kroch er schließlich über die Oberfläche des riesigen Trägerballons. Für den Hünen Mombassa wäre hier kein Durchkommen gewesen.
    Grao arbeitete sich bis an den Ostrand der Stadt vor, bis zu einer Spalte in der Außenwand der Gitterkonstruktion. Dort fuhr er Tentakel aus seinen Augenhöhlen und streckte so seine Augäpfel durch den Spalt und durch eine große Lücke im Pflanzenvorhang. Auf diese Weise sah er die Sonne über dem See aufgehen. Und er sah etwa dreihundert Huutsi-Krieger heranstürmen. Mitten unter ihnen auf einem Schlacht-Efranten und mit wehendem Haar und flatterndem roten Umhang: Daa’tan. Mit seinem Büffelhornhelm glich er einem wilden Tier.
    »Wie leichtsinnig«, entfuhr es Grao’sil’aana.
    Geschosse aus Dampfdruckkanonen schlugen in der Angriffsreihe ein, doch der Großteil der Huutsi erreichte den Wall lebend und unverletzt. Unter dem Feuerschutz der Kavalleristen hinter ihren Maschinen schoben die Krieger die Erstürmungstürme heran, schleuderten Seile mit Widerhaken nach oben oder kletterten gleich an den Ranken hinauf.
    Der Daa’mure fürchtete, Zeuge eines schlichten, einfallslosen Sturms ohne jede strategische Überlegung zu sein. Geschrei und Gefechtslärm von den anderen Seiten der Stadt bestätigten seinen Verdacht. Auch dort gingen sie mehr oder weniger planlos vor. Aufmerksam und besorgt zugleich beobachtete Grao den Kampfverlauf.
    Seine Befürchtungen wurden bald bestätigt: Die Verteidiger von Wimereux-à-l’Hauteur kippten Güllekübel über die Angreifer aus. Danach spritzten sie gezielt heißes Öl auf die Kletterer, die der Wallkrone am nächsten kamen. Wie faules Obst aus einem Baum fielen die Huutsi von den Klettertürmen und aus den Ranken der Gestrüppwand und wälzten sich im Unterholz. Efranten und Tsebras scheuten und wandten sich zur Flucht.
    Grao’sil’aana zog die Tentakel ein und machte kehrt. Dicht an die Außenhülle des zentralen Trägerballons gepresst, kroch er zur Westseite der eingekesselten Stadt. Wie eine flache, wandernde Wucherung sah er aus.
    Im Westen bot sich ihm das gleiche Bild wie an der Seeseite der Stadt: Der Angriff von General Sangos Truppen war ins Stocken geraten. Viele, die allzu kühn den Wall hatten erstürmen wollen, lagen tot oder schwer verletzt im Unterholz der Rodung, auf der die abgestürzte Wolkenstadt aufgesetzt war, oder wurden von Kameraden aus dem Schussbereich der kaiserlichen Schützen geschleppt. Überall sah Grao’sil’aana Widerhaken an abgeschnittenen Seilen im Gestrüpp hängen.
    Der Daa’mure kroch fünfhundert Meter weiter an den Südwall der Stadt. Hier hatte die Wawaa-Kriegerin Banta ihre Kämpfer schon zurückgepfiffen. Zwei oder drei Tote lagen im Unterholz. Von der einen Kilometer entfernten Nordseite her hörte Grao’sil’aana deutlich weniger
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