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2216 - Tau Carama

Titel: 2216 - Tau Carama
Autoren: Unbekannt
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sanft. Wie eine aufgeweichte Seeschnecke hing Intake kraftlos in den Armen der Freundin. „Du musst es jetzt sagen!" Noreike kniff sie in den Oberarm. „Ich glaube, ich platze!", schrie Intake. „Und ich habe Angst, ich könnte dich mit in den Tod reißen. Dich oder jemanden aus dem Dorf."
    Jetzt war es endlich heraus. Erleichterung erfüllte sie. Wohlige Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Gleichzeitig kehrten die natürlichen Farben zurück, das Gelb der Sonne, der stahlblaue Himmel, das hellgrüne Wasser, der rötlich gelbe Strand. Noreike verwandelte sich zurück in die Nestfreundin, die Intake seit all den Sommern kannte, robust und kräftig und ebenso hochgewachsen wie sie selbst, obwohl Noreike ein ganzes Jahr jünger war. „Du kannst nicht platzen. Intake, komm zu dir! Wovor hast du wirklich Angst?"
    Die junge Motana sank zu Boden. Sie rollte sich auf den Bauch, grub die Finger in den weichen Boden. „Es ist in meinem Kopf. Ich kann es nicht beschreiben." Sie rollte sich auf die Seite, sah die Freundin von unten herauf an. „Es ist auch nicht das erste Mal. Aber es nimmt an Kraft zu."
    „Wann, Intake? Wann geschieht es?"
    „Immer, wenn ein Choral erklingt. Dann ist es, als gleite ein unsichtbarer Riegel zur Seite, als öffne sich in mir eine Pforte. Jedes Mal bilde ich mir dann ein, mein Körper könnte dem Druck nicht standhalten. Noreike, es ist, als besäße ich die Kraft, Ore mit einem einzigen Faustschlag zu zerstören."
    „Das kannst du nicht. Ganz bestimmt nicht. Die Lokale Majestät hätte deine Fähigkeit längst erkannt, wenn sie gefährlich wäre."
    Intake dachte, dass Phandera Wichtigeres zu tun hatte. Ihre Aufgabe bestand gewiss nicht darin, alle Kinder der Insel zu überwachen, ob sie womöglich negative Kräfte entwickelten. „Ich glaube ..." Wieder stockte sie. Ihr Körper fing an zu zucken und zu beben.
    Noreike lachte, glockenhell und fröhlich. „Es ist doch Seja Banoor, meine kleine Blatthüpferin."
    Intake schoss hoch, starrte mit weit aufgerissenen Augen zwischen den himmelhohen Bäumen hindurch zum Strand. Noreike fing sie auf, bevor sie steif wie ein Stock auf das Gesicht fiel. „Manchmal kommt es auch über mich, ohne dass jemand einen Choral anstimmt." Sie stieß die Freundin von sich, verlor das Gleichgewicht und plumpste auf den Hintern. „Es ... kommt. Ist es nicht schon da? Ich ... Es kommt... auf uns zu."
    „Und ich habe das noch nie an dir bemerkt. Eine schöne Nestfreundin bin ich!"
    Intake fühlte sich übergangslos müde. Sie gähnte, und Noreike sah respektvoll zur Seite. „Ich bringe dich in dein Nest", sagte die Freundin. Intake hörte ihre Stimme plötzlich wie von ganz weit her, als trüge der Wind die Worte über das Meer herbei. „Nein ...", sagte sie kraftlos. „Ich darf jetzt nicht weg."
    Wieder ruhte Noreikes Blick nachdenklich auf ihr. „Es ist nicht allein der Seja Banoor", sagte sie. „Da steckt noch etwas anderes dahinter. Beim Schutzherrn, was geschieht mit dir?"
    Intake spürte die Veränderung weit draußen, ohne dass sie sie sah. Ihr standen plötzlich die Haare zu Berge. Aus der Tiefe ihrer Brust rang sich ein Grollen. „Beim Schutzherrn!
    Tau Carama kommt!"
    Augenblicke später krümmte sie sich vor Schmerz zusammen. Sie glaubte zu spüren, wie jemand - oder etwas - ihr ein Messer in den Bauch rammte und hin und her drehte, doch kein Messer, nicht einmal ein Stück Metall, ein Knochen oder ein Holzpflock war zu sehen, und es floss auch kein Blut. Das Unsichtbare stieß erneut zu, immer wieder. Intake schrie. Tränen des Schmerzes liefen über ihre Wangen. Aus den Mundwinkeln tropfte Speichel.
    Diesmal hielt Noreike sie nicht fest. Die Freundin wich langsam vor ihr zurück. „Intake", murmelte sie. „Mir wird ganz anders. Sag, dass das alles nur ein Traum ist."
    Die Welt um sie herum stand still. Steinernen Monumenten gleich ragten die Bäume in den Himmel, weit, weit hinauf, und wo sie ihn berührten, da hielten die Wolken in ihrer Wanderschaft inne. Gespenstische Stille lag über Ore, der einsamen Insel inmitten des Ozeans. Kein einziger Laut drang mehr an Intakes Ohren.
    Wenigstens Noreike bewegte sich noch. Undeutlich nahm Intake wahr, wie die Freundin den Mund bewegte, wie sich ihre Mundwinkel nach unten zogen und wieder hoben, zogen und wieder hoben, zogen und ... „Bleib!", stieß Intake hervor. „Lass mich nicht allein!"
    Instinktiv streckte sie die Arme nach der Freundin aus. Sie bekam den Lederschurz zu fassen, mit
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