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204 - An Afras Ufern

204 - An Afras Ufern

Titel: 204 - An Afras Ufern
Autoren: Mia Zorn
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nippte zufrieden an einem dampfenden Becher Tee, den ihm die alte Bilandoo gebracht hatte. Crocuta lag zu seinen Füßen und schlief. Der Hyeenaführer strich ihr über das gelbbraune Fell. Das würde er jetzt auch tun: ein paar Stunden schlafen. Am frühen Vormittag wollte Nabende, der Kriegsminister, in die Große Stadt am Meer aufbrechen, um den Bruder des Stammesführers ins Lager zurückzuholen: Er musste dringend geimpft werden. Vielleicht würde Nabende einige seiner Tiere brauchen. Obwohl sich die Dankar sonst eher unauffällig in der Stadt bewegten.
    Lasoo kippte den Rest seines Tees in die Glut und stand auf.
    Er freute sich auf sein warmes Bett. Die alte Bilandoo hatte ihm vorhin heiße Steine zwischen die Decken seiner Bettstatt gelegt.
    Er war noch nicht ganz im Eingang seines Zeltes verschwunden, als er hinter sich ein scharrendes Geräusch hörte. Schnell ging er in die Hocke und lugte aus dem Zelt.
    Auf der anderen Seite des Feuers sah er Phillis vorbeihuschen. Ihr rotes Kleid raschelte über das Dorngras am Boden. Was hatte sie hier zu suchen? Die Behausungen der unverheirateten Frauen lagen im Zentrum des Lagers!
    Die Tochter des Stammesführers blieb vor dem weinroten Zelt von Nabende stehen. Sie lauschte, schaute sich noch einmal um und verschwand hinter den Tüchern des Eingangs.
    Lasoo rieb sich nachdenklich das Kinn. Was hatte sie vor?
    Teilte Nabende etwa sein Lager mit ihr? Warum auch nicht? Er gehörte zu den gut aussehenden Junggesellen der Dankar! Aber Phillis? Nein, unmöglich!
    Der Hyeenaführer kroch unter die warmen Decken und schloss die Augen. Aber der Gedanke, Phillis und der Kriegsminister könnten ein Paar sein, ließ ihn nicht los.
    Eigentlich wäre das eine gute Lösung für das Nachfolgerproblem.
    Vor dreiunddreißig Wintern nämlich wurde dem Stammesführer ein Sohn geboren, doch noch bevor dieser ein Mann war, verlor Mulindwa seinen Nachfolger an die Weiße Wüste. Mit seinen Frauen hatte der Stammesführer bisher nur Mädchen zustande gebracht. Sechsundzwanzig Töchter!
    Insgeheim hoffte jedermann, dass es ihrem Anführer doch noch einmal gelang, einen Sohn zu zeugen, bevor er zu alt für sein Amt wurde. Aber seit den letzten zwei Wintern war keine von Mulindwas Frauen schwanger geworden. Inzwischen munkelte man sogar, dass ein böser Zauber die Kraft aus den Lenden des Stammesführers geraubt habe.
    Lasoo fuhr sich durch seine grauen Locken. Ob sie wollten oder nicht, die Dankar mussten sich damit abfinden, dass sie künftig von einem Weib befehligt wurden. Bei der Großen Mutter! Dabei wusste doch jedes Kind, dass es Frauen bestimmt war, die Schöpfung zu bewahren. Sie waren völlig ungeeignet, einen Krieg zu führen oder ihr Land zu verteidigen! Es sei denn, sie hätten einen starken Mann an ihrer Seite.
    Aber das war bei Phillis problematisch. Schon etliche Male war der Versuch ihres Vaters, sie mit einem erfahrenen Krieger zu verheiraten, gescheitert. Keiner wusste warum. Man wusste nur, dass die Auserwählten schon nach kurzer Zeit fluchtartig Phillis’ Zelt verließen. Dabei machten sie den Eindruck, als hätten sie einen Geist gesehen: Sie stolperten mit gesenktem Kopf davon, wollten mit niemanden sprechen und gaben keine Gründe an, warum eine Hochzeit nicht zustande gekommen war. »Es ist nicht der Wille der Großen Mutter« war alles, was sie von sich gaben.
    Manche glaubten, Phillis verberge unter ihrem Gesichtstuch eine hässliche Fratze oder eine Entstellung. Andere wiederum hielten sie für eine Geweihte der Großen Mutter, die von einem Mann nicht berührt werden durfte.
    Lasoo machte sich seine eigenen Gedanken. Er war ein guter Beobachter, und durch seine nächtlichen Aktivitäten mit den Hyeenas sah er Dinge, die andere nicht sahen. Darum wusste er auch, dass Phillis ihr Herz bereits verschenkt hatte: an einen Ziegenhirten, der ganz und gar nicht den Erwartungen ihres Vaters entsprach.
    Bevor Mulindwa dem Geliebten durch eine Intrige schaden konnte, hatte Phillis dafür gesorgt, dass ihr Ziegenhirte eines Nachts aus dem Lager verschwand. Aber das war schon viele Monde her. Vielleicht hatte die zukünftige Stammesführerin es satt, alleine zu sein. Vielleicht würde Nabende der starke Mann an ihrer Seite. Aber wenn der nicht wollte?
    Lasoo drehte sich auf die Seite. Das gab es bei Phillis nicht!
    Was auch immer sie mit dem Kriegsminister vorhatte, es würde ihr gelingen. Sie war eine kluge Frau und verfügte über ein Heer von heimlichen Lauscherinnen. Sie
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