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204 - An Afras Ufern

204 - An Afras Ufern

Titel: 204 - An Afras Ufern
Autoren: Mia Zorn
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die kleinere Höhle, mein Hemd mit dem kostbaren Fund an mein Herz gedrückt. »Hier unten! Ich habe sie gefunden: Die Gebeine der Efranten!«, schrie ich wieder und wieder, bis meine Stimme nur noch einem heiserem Krächzen glich. Oh, ich Narr!
    Irgendwann glitten Seile zu mir herab. Man zog mich nach oben und ich bebte vor Aufregung und Stolz.
    Aber nicht Mulindwa, nicht der Allwissende, nicht ein Einziger der Dankar erwartete mich dort. Sondern Fremde mit finsteren Gesichtern und gierigen Augen. Sie rissen mir mein Bündel aus den Armen. Sie redeten in der Sprache, die der Allwissende mich lehrte. »Wo ihre Knochen sind, ist auch ihr Gold. Weißes Gold!«, rief ihr Anführer.
    Die Erinnerung schmerzt zu sehr, als dass ich mich lange darin aufhalten will. Sie zwangen mich, ihnen das Gewölbe zu zeigen. Zwei Männern, die dünn genug waren für die engen Felsspalten, beluden mit mir die ganze Nacht Säcke mit Elfenbein, die an Seilen nach oben gezogen wurden. Im Morgengrauen waren die Satteltaschen der Kamshaas prall gefüllt. Aber das genügte den räuberischen Händlern nicht. Sie ließen mich nicht gehen. »Du wirst niemanden mehr von unserem kleinen Geheimnis erzählen«, höhnten sie in ihrer Sprache. Sie schnitten mir meine Zunge heraus, verschleppten mich durch die Wüste, über das Meer, und verkauften mich auf dem Sklavenmarkt in Madagaskar. Meine einzige Genugtuung war, dass das Schiff der Händler einige Monde später in einem Sturm sank, wie ich erfuhr. Vermutlich hatten sie es mit Efrantengebeinen überladen, und so wurde ihnen ihr Verbrechen schließlich zum Verhängnis.
    Bald zwanzig Winter sind seither vergangen. Und tausend Nächte, in denen ich sterben wollte. Nur die Hoffnung, eines Tages zurückzukehren zu meinem Volk, hielt mich am Leben.
    Nun ist es so weit: Ich konnte aus der Gewalt meiner Herrschaft fliehen und in der Hafengegend untertauchen. Vor wenigen Tagen wurden Matrosen gesucht für ein Schiff, das nach Afra in See stechen soll.
    Mein Elend hat endlich ein Ende! Ich komme nach Hause.
    Ich werde das Gesicht meiner Mutter sehen. Den Stolz in den Augen meines Vaters, wenn ich mein Volk zu den Windfelsen führe. Ich werde wieder den Sand der Weißen Wüste unter meinen Füßen spüren. Ngaai ist gnädig! Gepriesen sei er!
    »Ngaai ist gnädig! Gepriesen sei Ngaai!«, übersetzte Aibas die letzten Worte, die der Allwissende aus dem Buch gelesen hatte.
    Matthew und Rulfan senkten die Köpfe. Wie grausam hatte das Schicksal Heynum mitgespielt!
    Es herrschte Stille in dem Zelt des Stammesführers. Nur aus der Feuerstelle in seiner Mitte war leises Knistern zu hören.
    Das rote Licht der Flammen huschte über die Gesichter der Männer, die um die Feuerstelle saßen. Mulindwa war sichtlich bewegt. Seine Mundwinkel zuckten. Mit glänzenden Augen starrte er in das Feuer. Die beiden Alten rechts und links von ihm wirkten versteinert, und Nabende strich sich über seine perlmuttfarbene Tätowierung am Hals.
    Der Allwissende klappte das Tagebuch zu. »Alle Dankar tragen den Virus des Fluches in sich. Nur durch die Impfung breitete er sich nicht aus. Der Lemuur muss sich bei Heynum angesteckt haben, als dessen Impfschutz nachließ. So infizierte das Tier die Menschen auf eurem Schiff.« Nachdenklich schaute er die Gefährten an. »Obwohl der Fluch euch beide nicht getötet hat, so hat er euch dennoch berührt. Lasst euch und euer Tier von mir impfen, bevor ihr morgen nach Kenyaa aufbrecht!«
    ***
    Die Morgendämmerung kroch in einem kalten Blau über den Ratsplatz der Dankar. Matthew und Rulfan verstauten Wasserschläuche und Proviant in ihrem Rouler. Chira lag auf der Rückbank und schlief, seit ihrer Impfung in der vergangenen Nacht. Auch Matt und Rulfan hatten das Antiserum erhalten. Zum Abschied schenkte ihnen Iwasko eine Karte, die ihre weitere Reiseroute beschrieb. »Der schnellste Weg zum Victoriasee ist der über Nyaroby«, beteuerte er wieder und wieder.
    Jetzt war es so weit. Tashoo wartete bereits auf seinem Kamshaa. Er wollte die Freunde an die Grenze der Weißen Wüste bringen. Misstrauisch beäugte er den Rouler. Um nichts in der Welt würde er sich in dieses Höllengefährt setzen.
    Gerade als Rulfan die Maschine anwerfen wollte, kam Aibas herbeigeeilt. »Wartet!«, rief er. Ein weinroter Mantel mit prächtigen Stickereien flatterte an seinen Schultern. Atemlos blieb er vor dem Rouler stehen. Er löste seine Kette mit dem rubinroten Stein und reichte sie Matthew.
    »Nehmt das zum Dank
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