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204 - An Afras Ufern

204 - An Afras Ufern

Titel: 204 - An Afras Ufern
Autoren: Mia Zorn
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Hand zu lecken.
    »Nicht!«, rief Doktor Nikemdo und versuchte den Lemuur zu verscheuchen. Aber das Tier ließ sich nicht vertreiben. Es kreischte und fiepte, klammerte sich an Ohnzung, und seine kleine rosa Zunge schleckte wieder und wieder über die Hand.
    »Nicht!«, schrie Rulfan und schlug gegen den Pelz des Tieres.
    Ein Jaulen drang an sein Ohr. Er riss die Augen auf und entdeckte Chira, die ihm wohl über das Gesicht geleckt hatte.
    Ihr Riesenschädel schwebte über ihm. Er selbst lag am Fuße einer Düne im heißen Sand. Das Schiff und seine Menschen waren verschwunden. Es herrschte Stille. Nur Chiras Hecheln war zu hören. Aus feuchten braunen Augen stierte die Lupa ihn an. Dann hörte er in der Ferne Matts Stimme. »Rulfan! Rulfan!«
    Der Albino richtete sich auf. Auf dem Kamm der Düne entdeckte er Matt, der ihm zuwinkte. »Auf die Beine, Rulfan! Hinter dieser Düne liegt das Schlaraffenland!«
    ***
    Die Nacht senkte sich kalt über die Weiße Wüste. Irgendwo im Westen flackerte ein helles Licht: die Feuer auf dem Ratsplatz der Dankar.
    Seit dem frühen Nachmittag hatte Iwasko Menschen und Tiere seines Volkes geimpft. Sein Arm schmerzte und die Wirbel seines Rückens schienen aus Blei zu bestehen.
    Stöhnend beugte er sich über die letzte Ziege, die ein junger Dankar mit beiden Armen umklammerte. Das Tier zappelte und schrie, als die Nadel in seine Pobacke eindrang.
    Der Allwissende seufzte. Zum hundertsten Mal dankte er Ngaai für das Serum, das tief vergraben in der Erde der Großen Mutter lagerte. Iwasko richtete sich auf und sah der Ziege hinterher, die mit tollkühnen Sprüngen die Senke verließ.
    Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als er den Impfstoff das erste Mal ausprobiert hatte. Damals war er noch jung und voller Tatendrang gewesen. Eigentlich wollte er nach Nyaroby, die große Stadt im Westen Kenyaas. Aber Umstände, an die er nicht gerne dachte, brachten ihn zu den Dankar.
    Halbtot war er damals. Die Menschen hier pflegten ihn gesund und behandelten ihn, als wäre er einer der ihren.
    Und der Tag kam, an dem er sich revanchieren konnte: Eine Seuche brach aus. Sie raffte ein Drittel der Bevölkerung dahin, bevor Iwasko den Träger des Virus fand: einen Lemuur. Aus seinem Blut entwickelte er den Impfstoff und rettete, was noch zu retten war.
    Dort, wo die Ziege verschwunden war, tauchten jetzt drei Gestalten auf. Sie lenkten Iwasko von seinen Erinnerungen ab.
    Im Feuerschein erkannte er Mulindwa und Nabende. Hinter ihnen flatterte das rote Gewand von Phillis.
    Der Stammesführer und sein Kriegsminister verbeugten sich vor dem Allwissenden. »Wir danken der Großen Mutter für den Tag, an dem sie dich zu uns sandte!«
    Phillis trat zu Iwasko und stellte eine Schale mit Wasser neben ihn. Er dankte ihr. Während er seine Ärmel hochkrempelte, um sich zu waschen, fragte er: »Seid ihr euch sicher, dass keiner bei der Impfung fehlte?«
    »Alle sind geimpft!« Die raue Stimme von Nabende klang fast beleidigt. Der Kriegsminister hasste es, wenn man seine Arbeit anzweifelte.
    »Nur mein Bruder war nicht dabei«, warf der Stammesführer fast beiläufig ein. »Er ist noch als Späher in der großen Stadt.« Als er das entsetzte Gesicht des Allwissenden sah, wurde er unsicher. »Der Fluch wird ihm nichts anhaben! Er ist doch weit weg von hier!«
    Iwasko tauchte seine Hände in das kühle Wasser. »Wann genau ist er aufgebrochen?«
    Mulindwa schaute seinen Kriegsminister fragend an. »Vor drei Nächten«, antwortete Nabende.
    »Holt ihn sofort zurück!« Mehr sagte der Allwissende nicht.
    Er beugte sich über die Schale und wusch sein müdes Gesicht.
    Als er seine Waschung beendet hatte, waren Mulindwa und Nabende gegangen. Nur Phillis saß noch neben ihm.
    Schweigend reichte sie ihm ein Tuch.
    Iwasko drückte es an seine Wange. Es roch nach Salz und Lavendel. Langsam tupfte er sich das Wasser von der Haut.
    Dabei streifte sein Blick den Schleier vor Phillis’ Gesicht. Er wusste, dass die zukünftige Herrin der Dankar jede seiner Bewegungen genau beobachtete. Er kannte auch ihre Frage, die sie nicht stellte. Während er ihr das Tuch zurückgab, umfasste er ihre Hand. »Du weißt selbst, was zu tun ist«, flüsterte er.
    ***
    Rulfan stand im Eingang der Hütte und blickte zu der mächtigen Bodenwelle, die sich zweihundert Meter vor ihm aus der braunen Erde erhob. Die Düne leuchtete orange im Morgenlicht. Sie erinnerte Rulfan entfernt an den Uluru. Und an den gestrigen Tag. Es schienen ihm hundert
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