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202 - Unter schwarzer Flagge

202 - Unter schwarzer Flagge

Titel: 202 - Unter schwarzer Flagge
Autoren: Ronald M. Hahn
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kam vorbei und brachte dem Pianisten einen neuen Humpen. Da Matt sich auf das Piano stützte, wurde er wohl für ein Bandmitglied gehalten: Kurz darauf suchte er sich, einen Krug Bier in der Hand, einen Sitzplatz. Er fand ihn zwischen grölenden Schafhirten und losen Frauenzimmern.
    Einige Matrosen der Wanky kamen in den Blayk Svoan. Die gute Stimmung schien ihnen zu gefallen. Sie strebten zum Tresen.
    Das Repertoire der Band stammte aus dem 20. Jahrhundert und weckte sehnsuchtsvolle Erinnerungen in Matt. Er ertappte sich dabei, dass er mit dem Fuß auf die Dielenbretter klopfte.
    Bald war der Humpen leer, und sein mit Flüssigkeit gefüllter Magen knurrte nicht mehr.
    Die Zeit verging wie im Fluge. Nach einer Stunde wurde die Band beköstigt. Rulfan schwatzte der Rothaarigen, die sich als Wirtin entpuppte und ein Auge auf ihn geworfen hatte, eine Schale Gulasch für Matt ab.
    Die Musiker hatten ihn inzwischen gebeten, den ausgefallenen Kollegen den ganzen Abend zu vertreten; also musste er nach dem Essen wieder an die Arbeit, denn er war fest entschlossen, für Matt und sich noch ein Nachtlager herauszuschlagen.
    Ständig strömten weitere Seeleute und Damen in minimaler Bekleidung in die Taverne. Irgendwann machte Matt seinen Hocker für einen schmerbäuchigen Seemann frei, der wie Long John Silver aussah.
    Mit einem neuen Humpen in der Hand – die Wirtin hatte ihn inzwischen als Freund ihres neuen Augapfels registriert – trat Matt in den Hintergrund. Zu den Klängen von »Honky Tonk Women«, die bestens in diese Kaschemme passten, fiel sein Blick durch die Schwingtür auf die Kehrseite einer Blondine, mit dicken geflochtenen Zöpfen und einem roten Halstuch.
    Sie schien über den sechsten Sinn zu verfügen, denn sie fuhr jäh herum, als spüre sie Matts Blick.
    Hellblaue Augen blitzten ihn an. Von vorn sah die Blondine wie fünfzehn aus, doch die Abmessungen ihres Busens sagten etwas anderes. Sie musterte ihn spöttisch und huschte um die nächste Ecke.
    Wie alt ist eigentlich Annie inzwischen?, fuhr es Matt durch den Sinn. Er hatte seine Tochter seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Sechseinhalb müsste sie heute sein, gab er sich selbst die Antwort. Und davon war ich vielleicht ein halbes Jahr mit ihr und Jenny zusammen.
    Ann war durch eine von den Amazonen von Berlin erzwungene Liaison mit seiner ehemaligen Staffelkameradin entstanden [1] – was seine Liebe zu dem kleinen Mädchen nicht schmälerte.
    Um wie viel anders war da die Beziehung zu Daa’tan, seinem Sohn! Eigentlich ein Kind der Liebe zwischen ihm und Aruula, war es von den Daa’muren geraubt und aufgezogen worden – und heute sein Todfeind. Dazu verfügte es über unheimliche Pflanzenkräfte…
    Mehrere bronzehäutige Männer, die sich dem Blayk Svoan näherten, erregten Matts Aufmerksamkeit. Sie waren hellhaarig, trugen blaue Zipfelmützen und unterhielten sich in einer kehligen Sprache. Schwyzerdütsch? Unmöglich. Einzelne Worte kamen Matt aber irgendwie Deutsch vor. Die Männer drängten sich an ihm vorbei, und da wusste er, woher er diesen Tonfall kannte: Holland.
    Aber das war ebenso unwahrscheinlich, denn dieses Land hatte das Meer vor Jahrhunderten zur Gänze verschlungen…
    ***
    Während seiner Militärzeit in Berlin hatten einige Dienstreisen Commander Drax ins NATO-Hauptquartier Europa-Mitte nach Brunssum geführt.
    Die holländischen Offiziere, denen er dort begegnete, waren wahre Sprachgenies gewesen. Die Seeleute hier hatten jedoch keinen vergleichbaren Hintergrund: Wo immer sich auch eine holländische Enklave erhalten hatte – etwa in Surinam? –, die Wahrscheinlichkeit, dass sie Deutsch verstanden, war gleich Null.
    Matt spitzte die Ohren. Nun hörte er die Matrosen mit der Wirtin Australenglisch reden. Gehörten sie zur Schelm? Wenn ja, musste er unbedingt ihre Bekanntschaft machen.
    Aber wie? Er wollte nicht aufdringlich wirken. Vielleicht hatte er bessere Karten, nachdem die Burschen ihren Feierabend genossen hatten.
    Matt trat vor die Tür. Der Regen hatte die Welt abgekühlt.
    Die Bäume wiegten sich in einer Brise. Trunkenbolde, kichernde Pärchen und andere Nachteulen wechselten von einer Taverne in die andere. Die Jugendlichen hatten sich verzogen.
    Mit den Händen in den Hosentaschen schlenderte Matt um die Häuser. Hinter ihm wurden die Musik, das Gelächter und der trunkene Gesang leiser. Am Himmel glitzerten Sterne. Er hörte das Krähen der Meeresvögel.
    Das Schlagen der Brandung bildete eine ewige
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