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2012 - Folge 1 - Botschaft aus Stein

2012 - Folge 1 - Botschaft aus Stein

Titel: 2012 - Folge 1 - Botschaft aus Stein
Autoren: Bastei
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leuchtete den Boden vor sich ab. Was da mit trockenem Knacken zersplittert war, war beileibe kein dürrer Ast gewesen.
    Er blickte auf zwei lange bleiche Knochen, die so nahe beieinanderlagen, dass gar kein Irrtum aufkommen konnte.
    Es waren menschliche Knochen: Speiche, Elle und einige Handwurzelknochen dazu. Der Lichtstrahl glitt weiter.
    Neben einem Totenschädel lag das dazugehörige Skelett.
    Tom Ericson ignorierte das unvermindert lobende Unwetter. Im Widerschein der Blitze schien der Höhleneingang zu atmen; Licht und Schatten zeichneten unaufhörlich neue Konturen.
    Ein ohrenbetäubender Donner ließ die Luft vibrieren. Staub rieselte von der rissigen Felsendecke herab, funkelte im einen Moment wie pures Gold und war im nächsten nicht mehr zu sehen.
    Tom richtete den Lichtkegel seiner Lampe auf den bleichen Schädel. Wie lange der Tote schon hier lag, vermochte er nicht abzuschätzen. In der feucht schwülen Inselatmosphäre setzte die Verwesung jedenfalls rasch ein.
    Er kniete neben dem Schädel nieder. In der Linken hielt er die Lampe, mit zwei Fingern der rechten Hand wischte er die Staubschicht von den Knochen.
    War der Tote Paul Gauguin? Tom biss auf seine Unterlippe.
    Die letzten Jahre seines Lebens hatte der Impressionist in der Südsee verbracht. In Gauguins Vorstellung war Tahiti ein exotisches Paradies gewesen, doch fortschreitende Syphilis und eine chronische Augenentzündung hatten ihm den Aufenthalt zur Hölle gemacht, bis er im Herbst 1901 nach Hiva Oa umsiedelte. Hier entstanden noch einige berühmte Gemälde, obwohl Gauguin seine Schmerzen immer mehr mit Morphin zu betäuben versuchte.
    Nach seinem Tod im Mai 1903 wurde er auf einem Friedhof über der Siedlung Atuona beigesetzt - so die offizielle Lesart. Inoffiziell wurde das angezweifelt. Eine Version behauptete, dass der Maler irgendwo im Regenwald verscharrt worden sei.
    Tom hatte sich mit allen Details befasst. Er wusste, dass Gauguin sich für die Belange der Einheimischen eingesetzt und sogar die Kirche angegriffen hatte, was zu einem Konflikt mit der Obrigkeit und schließlich zu seiner Verurteilung wegen Verleumdung führte.
    Unter diesen Umständen war es nicht unwahrscheinlich, dass der Maler den Entschluss gefasst hatte, weitab von allen Menschen sein Leben zu beenden. Die Zeichen auf den Steinfiguren, das »P« für Paul, das seiner Signatur entsprach, mochten ein Hinweis auf Gau-guins tatsächlichen Verbleib sein.
    Er wandte sich wieder dem Skelett zu. Der Tote schien an der Felswand gelehnt zu haben, war aber irgendwann zur Seite gesunken. Die Beine steckten in einer zerschlissenen Hose, das Hemd war nur mehr ein Fetzen unbestimmbarer Farbe. Fahles Pilzgeflecht überwucherte den Stoff wie luftiger Flaum. Als Tom zupackte, zerfiel der Stoff zu größeren Flocken. Dumpfer Modergeruch stieg ihm in die Nase - ein Aroma, wie es beinahe jeder Grabkammer anhaftete.
    Dann stutzte Tom. Das halb vermoderte Hemd, so zerschlissen es auch war, ließ noch einen deutlichen Schnitt quer über den Oberkörper erkennen. So präzise wie mit einem Skalpell ausgeführt.
    Tom schoss mehrere Fotos mit seinem Satellitentelefon. Erst danach versuchte er, die Reste des Hemdes vorsichtig zur Seite zu legen.
    Staub wirbelte auf. Alles Körpergewebe war längst zerfallen. Tom blickte auf einen Haufen blanker Knochen.

    Sogar der Brustkorb war in sich zusammengesunken ... nicht ganz. Ericson kniff die Brauen zusammen und leuchtete das Skelett besser aus. Die Rippen und das Brustbein waren glatt durchgeschnitten! Von der rechten Schulter des Toten zog sich ein absolut gerader Schnitt schräg nach links unten.
    Ein Hieb mit einer Machete? Ein Rechtshänder würde so zuschlagen. Aber dass sich ein Schwerkranker auf solche Weise selbst vom Leben zum Tod beförderte, war schlicht undenkbar. »Er wurde umgebracht ... aber von wem und warum?«
    Der Klang der eigenen Stimme erschreckte Ericson. Gedankenverloren hatte er die Frage laut ausgesprochen.
    Er ließ den Lichtkegel der Lampe durch die Höhle wandern, auf der Suche nach Hinweisen. Kleinere Felsbrocken, vertrocknete Pflanzen und im Lichtschein bleich schimmernde Moose, das war alles.
    Ein kurzes Aufblitzen reflektierte das Licht der Lampe. Es schien aus der porösen Felswand zu kommen.
    Tom ging hinüber und fand eine kleine, zusammengekauert wirkende Figur. Es war eine Eule aus glasiertem Ton, nicht größer als sein Zeigefinger.
    Der Archäologe kannte diese einfachen kleinen Figuren. Es handelte sich um
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