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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3
Autoren: Haruki Murakami
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ganze Reihe von Fakten, die Ushikawa den beiden verschwiegen hatte. Es war nicht seine Art, alle Karten auf den Tisch zu legen. Ein paar konnte man zeigen, aber die meisten deckte man lieber nicht auf. Vor allem brauchte er ein paar Trümpfe als Rückversicherung. Wie zum Beispiel die Kassette mit dem Gespräch, das er heimlich aufgezeichnet hatte. Ushikawa war ein Experte in diesem Spiel. Die Erfahrungen, die er gemacht hatte, unterschieden sich sehr von denen irgendwelcher junger Bodyguards.
    Ushikawa kannte die Namen der Leute, denen Aomame Privatstunden gegeben hatte. Wenn man etwas Zeit investierte und ein gewisses Know-how besaß, kam man an die meisten Informationen heran. So hatte er herausgefunden, dass Aomame zwölf Personen auf privater Basis trainierte. Acht Frauen und vier Männer. Alle waren hochangesehene Leute und finanziell gut gestellt. Keiner von ihnen würde eine Mörderin dingen. Allerdings befand sich unter ihnen eine reiche, etwa siebzigjährige Dame, die eine Einrichtung für geschlagene Frauen gestiftet hatte. Sie hatte ein Gebäude auf ihrem eigenen ausgedehnten Grundstück für Opfer häuslicher Gewalt zur Verfügung gestellt und ließ die Unglücklichen dort wohnen.
    An sich ein sehr hochherziges Unterfangen. Es war auch nichts Fragwürdiges daran. Und dennoch trat irgendetwas gegen den äußeren Rand von Ushikawas Bewusstsein. Und wenn das geschah, war er stets entschlossen, herauszufinden, was dieses Etwas war. Er besaß so etwas wie einen animalischen Geruchssinn und verließ sich sehr stark auf seine Instinkte. Ihnen war es zu verdanken, dass er schon mehrmals knapp dem Tode entronnen war. Gewalt war in diesem Fall vielleicht das Schlüsselwort. Auch diese alte Dame musste in irgendeiner Form mit Gewalt in Berührung gekommen sein und bot den Opfern von Gewalttaten nun großzügig ihre Hilfe an.
    Ushikawa machte sich auf den Weg, um sich das Frauenhaus einmal anzusehen. Es befand sich in Azabu, einem der vornehmsten Viertel der Stadt. Das auf einer Anhöhe gelegene Holzgebäude war zwar alt, doch sehr stilvoll. Durch das Gittertor blickte man auf ein hübsches Blumenbeet und eine ausgedehnte Rasenfläche, die von einer großen, immergrünen Eiche beschattet wurde. In die Eingangstür war gemustertes Glas eingesetzt. Solche Häuser wurden in letzter Zeit immer seltener.
    Allerdings war das Gebäude im Gegensatz zu seinem friedlichen Anblick äußerst scharf bewacht. Die hohen Mauern waren mit Stacheldraht versehen. Hinter einem soliden, fest verschlossenen Eisentor wachte ein Deutscher Schäferhund, der sofort laut zu bellen begann, als Ushikawa sich näherte. Mehrere Überwachungskameras waren installiert. Auf der Straße vor dem Haus gab es so gut wie keine Fußgänger, und es wäre zu auffällig gewesen, sich länger dort aufzuhalten. In dem ruhigen Wohnviertel befanden sich sonst nur noch einige ausländische Botschaften. Ein Mann von Ushikawas verdächtigem Aussehen würde sofort angehalten und gefragt werden, was er dort zu suchen habe. Selbst für ein Frauenhaus hatten all diese Sicherheitsvorkehrungen etwas Übertriebenes, und Ushikawa nahm sich vor, so viel wie möglich darüber in Erfahrung zu bringen. Ganz gleich, wie streng die Bewachung war, er musste sie durchbrechen. Nein, je strenger sie war, desto notwendiger war es, dass er sie durchbrach. Er musste sich eine Strategie überlegen. Und wenn er sich dafür das Gehirn zermartern musste.
    Er erinnerte sich an Ondas Reaktion, als er ihn nach den Little People gefragt hatte.
    »Haben Sie die Bezeichnung ›Little People‹ schon einmal gehört?«
    »Nein.«
    Ondas Antwort war zu prompt gewesen . Hätte er bis dahin wirklich noch nie von den Little People gehört, dann hätte er zumindest einen Augenblick gezögert. Little People? Er hätte überlegt und dann geantwortet. Das wäre die normale Reaktion gewesen.
    Onda musste schon einmal von den Little People gehört haben. Ob er nur wusste, was der Name bedeutete, oder ob er sie selbst kannte, war noch unklar. Aber gehört hatte er von ihnen.
    Ushikawa drückte seine heruntergebrannte Zigarette aus. Eine Weile saß er in Gedanken versunken da, dann zündete er sich eine neue Zigarette an. Er hatte schon vor langer Zeit beschlossen, nicht mehr über die Möglichkeit nachzudenken, dass er Lungenkrebs bekommen könnte. Er brauchte die Wirkung des Nikotins, um sich zu konzentrieren. Man konnte das eigene Schicksal nicht einmal zwei oder drei Tage weit voraussagen. Warum sollte
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