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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3
Autoren: Haruki Murakami
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brauchte nicht weit zu gehen. Das Taxi hatte sie ungeachtet des dichten Staus fast eingeholt.
    Der Fahrer ließ die Scheibe herunter, als Aomane dagegenklopfte.
    »Lassen Sie mich wieder einsteigen?«, fragte sie.
    Der Fahrer zögerte. »Das war doch eine Waffe, die Sie sich da eben in den Mund gesteckt haben?«
    »Ja.«
    »Ist die echt?«
    »Ach, kommen Sie.« Aomame kräuselte die Lippen.
    Der Fahrer öffnete die Tür, und Aomame stieg ein. Sie nahm ihre Schultertasche ab, legte sie auf den Sitz und wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund.
    »Und? Gibt es da eine Treppe für Notfälle?«, fragte der Fahrer.
    Aomame schüttelte den Kopf.
    »Na also. Sonst hätte ich ja davon gehört«, sagte er. »Und jetzt? Wollen Sie noch immer zur Ausfahrt Ikejiri?«
    »Ja, bitte«, sagte Aomame.
    Der Fahrer öffnete sein Fenster, winkte mit der Hand und wechselte vor einem großen Bus auf die rechte Spur. Der Taxameter zeigte noch den gleichen Betrag an.
    Aomame lehnte sich zurück. Ruhig atmend betrachtete sie die altvertraute Esso-Reklametafel. Den Tankschlauch in der Pfote, wandte der Tiger ihr lächelnd sein Profil zu. »Pack den Tiger in den Tank«, stand da.
    »Der Tiger im Tank«, flüsterte Aomame.
    »Wie bitte?«, fragte der Fahrer mit einem Blick in den Rückspiegel.
    »Nichts. Ich habe nur mit mir selbst gesprochen.«
    Sie würde noch eine Weile am Leben bleiben und abwarten, wie die Dinge sich entwickelten. Zum Sterben war dann immer noch Zeit. Wahrscheinlich.
     
    Als sie am Tag darauf einen Anruf von Tamaru erhielt, erklärte sie ihm, dass sie ihre Pläne geändert habe. Sie werde sich nicht von dort fortbewegen, sagte sie. Weder werde sie ihren Namen ändern, noch sich einer Gesichtsoperation unterziehen.
    Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Tamaru stellte im Geiste verschiedene Theorien auf.
    »Das heißt, du willst nirgendwo anders hinziehen?«, fragte er dann.
    »Genau«, antwortete Aomame knapp. »Ich will noch eine Weile hierbleiben.«
    »Die Wohnung ist als Langzeitversteck nicht geeignet.«
    »Wenn ich mich ruhig verhalte und nicht rausgehe, wird mich schon keiner finden.«
    »Wir sollten diese Leute nicht unterschätzen. Sie könnten dein Umfeld ausspionieren und dir dadurch auf die Spur kommen. Dann könnte es auch für mich gefährlich werden.«
    »Tut mir leid. Aber ich brauche noch etwas Zeit.«
    » Etwas Zeit klingt ziemlich vage«, sagte Tamaru.
    »Genauer kann ich es leider nicht sagen.«
    Tamaru überlegte. Aus Aomames Ton schloss er, dass es ihr ernst war.
    »Ich bin ein Mensch, für den seine berufliche Stellung absoluten Vorrang hat. Das weißt du doch?«
    »Ja.«
    Wieder verfiel Tamaru in Schweigen.
    »In Ordnung«, sagte er schließlich. »Damit ich dich nicht falsch verstehe: Du hast sicher einen Grund für diesen Entschluss?«
    »Ja, habe ich«, sagte Aomame.
    Tamaru räusperte sich kurz in den Hörer. »Wie gesagt, von unserer Seite aus steht der Plan, und alles ist vorbereitet. Wir bringen dich an einen sicheren, entfernten Ort, tilgen jede Spur von dir, ändern deinen Namen und dein Gesicht. Wir machen einen – ich sage nicht völlig, aber beinahe völlig – anderen Menschen aus dir. Darüber sind wir uns wohl einig.«
    »Ja, natürlich. Nicht, dass ich Einwände gegen den Plan an sich hätte. Es hat sich nur etwas Unerwartetes ereignet. Und für mich ist es lebensnotwendig, noch länger hierzubleiben.«
    »Ich kann das nicht entscheiden«, sagte Tamaru und gab ein leises Brummen von sich. »Es kann ein bisschen dauern, bis ich dir Antwort geben kann.«
    »Ich bin immer hier«, sagte Aomame.
    »Gut«, sagte Tamaru und legte auf.
     
    Am nächsten Morgen kurz vor neun klingelte das Telefon drei Mal. Dann wurde aufgelegt, und kurz darauf klingelte es wieder. Es konnte nur Tamaru sein.
    »Madame hat große Bedenken dagegen, dass du weiter in der Wohnung bleibst«, begann er sofort, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Wir können deine Sicherheit dort nicht ausreichend gewährleisten. Und sie allein ist entscheidend. Wir sind uns einig darüber, dass du dich möglichst schnell an einen sicheren fernen Ort begeben solltest. Verstehst du das so weit?«
    »Ja, ich verstehe.«
    »Aber du bist ruhig und besonnen. Du machst keine dummen Fehler und hast Mut. Wir vertrauen dir uneingeschränkt.«
    »Danke.«
    »Wenn du darauf bestehst, noch eine Weile in dieser Wohnung zu bleiben, hast du sicher einen guten Grund dafür. Wir kennen ihn nicht, aber bestimmt handelt
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