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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3
Autoren: Haruki Murakami
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Fakten herauslesen. Es ist untypisch für eine Frau, aber Aomame telefoniert offenbar nicht gern. Ihre wenigen Gespräche sind in der Regel sehr kurz. Die meisten hat sie mit dem Sportstudio geführt, aber da sie auch freiberuflich gearbeitet hat, geht es bei einigen um Privatstunden. Mit diesen Klienten hat sie offenbar direkt verhandelt und auch die Termine selbst mit ihnen abgesprochen. Keines dieser Telefonate erscheint irgendwie verdächtig.«
    Hier machte Ushikawa eine Pause, musterte seine nikotingelben Finger von allen Seiten und dachte ans Rauchen. In Gedanken zündete er sich eine Zigarette an, zog daran und stieß den Rauch aus.
    »Bis auf zwei Ausnahmen. Erstens hat sie zweimal bei der Polizei angerufen. Keine Notrufnummer, sondern die Verkehrspolizei im Revier Shinjuku. Außerdem hat sie selbst mehrere Anrufe von dort erhalten. Aomame fährt nicht Auto, und Polizisten nehmen keine privaten Trainingsstunden in teuren Sportstudios. Also ist sie wahrscheinlich mit jemandem aus diesem Revier persönlich bekannt. Mit wem, weiß ich nicht. Zweitens wurde sie mehrmals von einer nicht identifizierbaren Nummer angerufen. Es waren immer lange Gespräche. Sie selbst hat nie dort angerufen. Es war unmöglich, diese Nummer zurückzuverfolgen. Natürlich gibt es Geheimnummern, aber mit etwas Mühe kann man den dazugehörigen Namen in der Regel herausfinden. Bei dieser wollte es mir jedoch partout nicht gelingen. Die Nummer ist unentschlüsselbar. Das zu erreichen ist fast unmöglich.«
    »Das heißt, diese Person vermag das Unmögliche.«
    »So ist es. Auf alle Fälle hat da ein Profi die Finger im Spiel.«
    »Noch eine Schlange«, sagte Onda.
    Ushikawa rieb sich mit der flachen Hand über den unregelmäßigen Schädel und grinste. »Genau. Noch eine Schlange. Ein würdiger Gegner.«
    »Es wird immer klarer, dass Aomames Hintermänner Profis sein müssen.«
    »Ja, Aomame muss einer Organisation angehören. Und diese Leute sind keine Anfänger.«
    Onda beobachtete Ushikawa unter halbgeschlossenen Lidern hervor. Dann wandte er sich um und wechselte einen Blick mit dem Pferdeschwanz, der zum Zeichen, dass er verstanden hatte, einmal kurz nickte.
    »Und jetzt?«, fragte Onda.
    »Jetzt«, sagte Ushikawa, »bin ich an der Reihe, Fragen zu stellen. Haben Sie mir etwas Wissenswertes mitzuteilen? Fällt Ihnen vielleicht irgendjemand ein, der es auf Ihren Leader abgesehen hatte?«
    Onda zog seine langen, geraden Augenbrauen zu einer Linie zusammen. Über seiner Nase bildeten sich drei Falten.
    »Herr Ushikawa, ich bitte Sie. Wir sind eine religiöse Gemeinschaft. Wir streben nach innerem Frieden und geistigen Werten. Wir leben im Einklang mit der Natur und bestellen unsere Felder. Unser alltägliches Leben ist der Meditation und Askese gewidmet. Wer sollte uns feindlich gesinnt sein? Und welchen Vorteil sollte er daraus ziehen?«
    Ein vages Lächeln umspielte Ushikawas Mundwinkel. »Fanatische Menschen gibt es überall. Niemand weiß, was sie bewegt und was sie denken. Ist es nicht so?«
    »Ich haben Ihnen jedenfalls in dieser Hinsicht nichts zu berichten«, erwiderte Onda ausdruckslos, ohne die Ironie in Ushikawas Worten zu beachten.
    »Wie ist es mit Akebono? Gibt es da noch versprengte Reste?«
    Onda schüttelte wieder – diesmal entschieden – den Kopf. Unmöglich. Die Vorreiter hatten die Akebono-Gruppe kompromisslos zerschlagen. Da war keiner übrig geblieben.
    »Also gut. Es gibt nichts, das ich wissen müsste. Aber Tatsache ist doch, dass irgendjemand, irgendeine Organisation, Ihrem Leader nach dem Leben getrachtet und ihn umgebracht hat. Auf raffinierteste Weise. Und sich dann quasi in Luft aufgelöst hat. Das können Sie nicht leugnen.«
    »Und wir müssen die Hintergründe aufklären.«
    »Ohne die Polizei einzuschalten.«
    Onda nickte. »Es ist unser Problem, nicht das der Justiz.«
    »Gut. Ihr Problem. Ganz klar. Leicht verständlich«, sagte Ushikawa. »Eine Frage möchte ich Ihnen noch stellen.«
    »Bitte«, sagte Onda.
    »Wie viele Personen in Ihrer Gemeinschaft wissen, dass der Leader tot ist?«
    »Ich und mein Kollege«, sagte Onda. »Dann die beiden Männer, die uns geholfen haben, seine sterbliche Hülle fortzuschaffen. Sie sind uns unterstellt. Sonst wissen nur noch unsere fünf obersten Führer davon. Das macht neun. Die drei Priesterinnen haben wir noch nicht eingeweiht. Aber sie werden bald davon erfahren. Da sie sich stets in der Nähe des Leaders aufhalten, wird man sein Ableben nicht lange vor ihnen
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