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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3
Autoren: Haruki Murakami
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seit fast zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie. Ich halte es für ausgeschlossen, dass Aomame von ihren Verwandten versteckt gehalten wird. Sie hat mit elf Jahren jede Verbindung abgebrochen und seither weitgehend für sich selbst gesorgt. Eine Zeitlang hat sie im Haus eines Onkels gewohnt, ist aber seit der Oberschule ganz unabhängig. Hut ab. Eine beherzte Frau.«
    Der Kahlkopf schwieg. All dies war ihm wohl längst bekannt.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Zeugen in die Sache verwickelt sind. Sie sind doch für ihre pazifistische und gewaltlose Überzeugung bekannt. Höchst unwahrscheinlich, dass sie dem Leader nach dem Leben trachteten. Da würden Sie mir doch zustimmen?«
    Onda nickte. »Nein, die Zeugen haben nichts damit zu tun. Das wissen wir. Wir haben den Bruder befragt. Sicherheitshalber. Aber er hatte überhaupt keine Ahnung.«
    »Haben Sie ihm wenigstens die Nägel ausgerissen? Sicherheitshalber?«, fragte Ushikawa.
    Onda ignorierte die Frage.
    »Jetzt machen Sie doch nicht so ein grimmiges Gesicht«, sagte Ushikawa. »Das war nur ein Scherz. Zugegeben, ein schlechter. Sie wissen doch, dass ich überzeugter Pazifist bin und jegliche Art der Gewaltanwendung ablehne. Na schön, der Bruder hatte also keinen blassen Dunst, was Aomame tut oder wo sie sich aufhält. Das heißt, sie steht weder in Verbindung mit ihrer Familie noch mit den Zeugen, was aber noch lange nicht bedeutet, dass sie die Sache allein durchgezogen hat. Ohne Helfer hätte sie einen so ausgefeilten Plan nicht ausführen können. Irgendjemand hat dieses raffinierte Set-up geschaffen, und sie ist seinen Anweisungen kaltblütig gefolgt. Anschließend hat sie sich wie durch Hexerei in Luft aufgelöst. Dahinter muss eine Menge Geld und Einfluss stecken. Die Person oder die Organisation, die hinter Aomame steht, wollte den Leader unter allen Umständen aus dem Weg räumen. Aus welchen Gründen auch immer. Die Sache war also bis ins Kleinste geplant. Auch in diesem Punkt sind wir uns einig?«
    Onda nickte. »Im Großen und Ganzen.«
    »Dummerweise haben wir keine Ahnung, um welche Organisation es sich handeln könnte«, sagte Ushikawa. »Sie haben natürlich auch Aomames Bekanntenkreis und ihr ganzes Umfeld unter die Lupe genommen?«
    Onda nickte schweigend.
    »Auch wenn man eigentlich nicht von einem Bekanntenkreis sprechen kann«, sagte Ushikawa. »Offenbar hat sie keine Freunde und auch keinen Liebhaber. Ihr Umgang mit den Kollegen ist normal, beschränkt sich aber auf den Arbeitsplatz, außerhalb ist sie mit niemandem persönlich bekannt. Ich konnte zumindest nichts finden. Bei einer gesunden jungen Frau, die gar nicht so übel aussieht, kommt man da schon ins Grübeln, oder?«
    Ushikawa sah den Mann mit dem Pferdeschwanz an, der die ganze Zeit über weder seine Haltung noch seine Miene verändert hatte. Allerdings war sein Gesicht von vornherein so ausdruckslos, dass es vielleicht auch nicht viel zu verändern gab. Ushikawa fragte sich, ob dieser Mann einen Namen hatte. Es hätte ihn kaum überrascht, wenn nicht.
    »Sie beide sind die Einzigen, die Aomame gesehen haben«, sagte Ushikawa. »Ist Ihnen irgendetwas Besonderes an ihr aufgefallen?«
    Onda schüttelte leicht den Kopf. »Wie Sie schon sagten, sie ist an sich eine attraktive junge Frau. Aber keine aufsehenerregende Schönheit. Sie wirkte ruhig, gelassen und selbstbewusst. Sie schien sehr überzeugt von ihren beruflichen Fähigkeiten. Ansonsten ist mir nichts an ihr aufgefallen, auch äußerlich nicht. An ihr Gesicht kann ich mich kaum erinnern. Es ist schon fast seltsam.«
    Ushikawa sah den Mann mit dem Pferdeschwanz an. Vielleicht hatte er etwas hinzuzufügen. Doch wie immer blieb er völlig unbewegt.
    Ushikawa wandte den Blick wieder dem Kahlen zu. »Sie haben natürlich überprüft, mit wem Aomame in den letzten Monaten telefoniert hat?«
    Onda schüttelte den Kopf. »Nein, bisher nicht.«
    »Das rate ich Ihnen aber dringend.« Ushikawa lächelte. »Man glaubt nicht, wo so ein Mensch überall anruft und von wo aus er angerufen wird. Sie brauchen nur seine Telefonate zu verfolgen, und sein Leben liegt vor Ihnen wie ein offenes Buch. Selbst Aomame ist da keine Ausnahme. Es ist nicht ganz einfach, Aufzeichnungen über private Telefonate in die Hände zu bekommen, aber unmöglich ist es nicht. Ich sag’s ja, eine Schlange kennt die andere.«
    Schweigend wartete Onda darauf, dass er fortfuhr.
    »Aus den Aufzeichnungen von Aomames Telefonaten lassen sich einige
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