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198 - Sohn und Dämon

198 - Sohn und Dämon

Titel: 198 - Sohn und Dämon
Autoren: Jo Zybell
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Zug.
    »Wir haben den Bastard unterschätzt«, murmelte er. »Wir haben den Sohn der Gedankenmeisterin vollkommen unterschätzt.« Er gab dem anderen Schamanen den leeren Becher zurück.
    Der füllte ihn erneut. »Ein Grund mehr, ihn einzufangen«, sagte er.
    »Wir müssen alles daransetzen«, stimmte der Dritte zu.
    »Sollten er und seine Mutter uns entkommen, gefährdet er den Ausgang der letzten Schlacht!«
    Gauko’on hockte reglos und starrte in die Flammen. Eine Zeitlang sprach keiner ein Wort. Irgendwann nickte Gauko’on langsam. Wortlos stand er auf, ging zu seinem Schlaflager und kramte in seinen Sachen. Er packte ein paar Fläschchen und Ledersäckchen mit Essenzen, Pulver und Kräutern in einen Stoffbeutel. Schließlich warf er sich den Stoffbeutel über die Schulter, packte einen knorrigen Stock und stapfte auf den Stock gestützt zum Treppenschacht.
    »Ich gehe allein«, sagte er. »Ihr bleibt hier und haltet Kontakt mit den Gedankenmeistern und den Außenposten…«
    ***
    Der Weg durch den Dornwald zurück zum Felsen dauerte lange; zehnmal so lang wie der Weg vom Felsen in den Dornwald. Immer wieder blieben sie stehen, umschlangen einander und weinten. Der Schmerz darüber, fünf Jahre – die fünf wichtigsten Jahre im Leben eines Kindes – ohne einander gelebt, und die Freude, sich nun doch gefunden zu haben, überwältigte sie.
    Vor allem Daa’tan war maßlos erschöpft. Die Flucht aus dem Lager, der mentale Energieaufwand, in dem er den dichten Wald erschaffen hatte, und der Kampf gegen die vielen Gegner hatten seine Kraftreserven aufgezehrt. Dazu kam die tiefe Wunde in seiner Kniekehle. Je näher sie dem Felsen und dem Wasserloch kamen, desto öfter musste er sich im Unterholz des Pfades niederlassen und verschnaufen. In diesen Pausen erzählte er von seiner Odyssee an der Seite Grao’sil’aanas.
    »Durch die halbe Welt bin ich gewandert, um dich zu finden Mutter«, stöhnte er. »Ich war so sicher, dich hier am Uluru zu treffen.«
    »Du warst tatsächlich mit einem Daa’muren unterwegs?«
    Aruula konnte es kaum glauben.
    »Ohne Grao wäre ich jetzt nicht hier.« Ein Lächeln flog über Daa’tans schmerzverzerrtes Gesicht. »Ich habe ihm viel zu verdanken, weißt du?«
    »Sie haben dich mir weggenommen , Daa’tan!« Eine Zornesfalte grub sich zwischen Aruulas Brauen ein. »Sie haben dich aus meinem Leib geraubt! Es sind verdammte…!«
    »Lass doch, Mutter…« Er nahm ihre Hand und konzentrierte sich auf ihren kleinen Finger und die Pflanzenkraft, die darin wohnte. Beruhigende Impulse strömten über das nachgewachsene Fingerglied in ihr Gemüt, Impulse des Vergessens. »Lass doch gut sein – Hauptsache, wir beide haben einander wieder.« Er schloss erneut seine Arme um sie und drückte sie an sich.
    Aruula vergaß ihre Wut und überließ sich ihren Gefühlen.
    Sie weinte still an seiner Schulter.
    Irgendwann wischte sie sich die Augen aus. »Wir müssen zum Wasserloch«, sagte sie. »Wenn ich nicht bald deine Wunde auswasche und verbinde, wirst du Fieber bekommen.«
    Er nickte kraftlos. Sie half ihm auf. Mit der Rechten auf sein Schwert und mit der Linken auf seine Mutter gestützt, schleppte er sich über den Pfad. Er stöhnte bei jedem Schritt.
    Hin und wieder, wenn er zwischen den Sträuchern ein Heilkraut entdeckte, blieb er stehen und bat sie, es zu pflücken.
    Aruula tat es, und Daa’tan sammelte die Kräuter in der Tasche seiner Kutte.
    Als sie sich dem Ende des Pfades näherten, sah er von weitem die vier toten Krieger liegen, die ihn als erste angegriffen hatten. Und plötzlich schämte er sich vor seiner Mutter. Wieder konzentrierte er sich auf ihr neues Fingerglied, wieder schickte er Impulse seines Willens in ihren Geist.
    Sie gingen an den Toten vorbei und verließen den Dornwald. Tatsächlich schien Aruula die vier Leichen nicht einmal gesehen zu haben. Die Fragen, die er gefürchtet hatte, blieben aus. Die Frage, warum er den Pfad geschaffen hatte; die Frage, warum er die Anangu unbedingt hatte erschlagen müssen; die Frage, ob es nicht gereicht hätte, sie im dichten Dschungel eingesperrt zu lassen, während sie auf der anderen Seite des Felsens geflohen wären.
    Die Wut hatte ihn beherrscht. Und das Wissen, sie besiegen zu können. Warum also Rücksicht nehmen? War es nicht besser, Feinde zu vernichten, anstatt Gnade walten zu lassen?
    Am Wasserloch äste das Malala. Daa’tan sank ins Gras.
    Aruula begann seine Kniekehle zu säubern. »Ich wäre fast gestorben vor
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