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1966 - Der Schattenbruder

Titel: 1966 - Der Schattenbruder
Autoren: Unbekannt
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hingegen hatte sich den schönen Künsten verschrieben. Er hatte sich als Dramatiker in ganz Chearth einen gewissen Ruf gemacht, doch das Geld für die täglichen Rationen an Fleisch und Ammoniakpflanzen verdiente er, indem er für eine sehr bekannte Trivid-Serie schrieb. Allerdings schaute er keineswegs darauf herab; ganz im Gegenteil, je länger er diese Tätigkeit ausübte, desto größer wurde seine Überzeugung, darin seine wahre Berufung gefunden zu haben.
    Die Zahl ihrer Nachkommen hielt sich in Grenzen. Seit die Gharrer sich von reinen Logikern zu emotionalen Wesen entwickelt hatten, erreichten ihre Gelege nur noch selten die maximalen neun Eier, und sie bekamen auch in wesentlich größeren Abständen Nachwuchs. Ihre gesellschaftlichen Strukturen hatten sich grundlegend verändert: Geschöpfe, die lediglich den Geboten der Logik folgten, zogen ihre Kinder ganz anders auf als solche, die gefühlsmäßige Bindungen zu ihnen entwickelten. Sie konnten daher wesentlich mehr Nachwuchs gleichzeitig oder kurz hintereinander bekommen und großziehen als solche, bei denen diese Bande lebensnotwendig waren und eine ausschlaggebende Rolle für ihre Entwicklung spielten.
    Das Haus der Eltern lag am Rand eines weitläufigen Vegetationsgebiets, an das sich wiederum das mit Energieschirmen gesicherte Wildgehege anschloss. Darin lebten zahlreiche eingeborene Tierarten des Planeten. Der Besuch des Geheges, vor dem sie nun standen, war schon seit langem geplant. „Euer Lehrer wird demnächst die einheimischen Tierarten unserer Welt mit euch durchnehmen", hatte Eikheelin bereits vor Wochen gesagt. „Wo bekommt ihr einen lebendigeren Eindruck von der Vielfalt unserer Fauna als dort?"
    Das hatten Mhogena und Rhavet und Chethona, seine Gelegeschwestern, sofort eingesehen. Doch mit dem instinktiven Misstrauen eines jungen Gharrers hatte er beim Frühstück gespürt, dass etwas anders war als sonst. Sein Vater machte keine Anstalten, sich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen, wie er es sonst um diese Zeit stets tat, und seine Mutter wirkte seltsam nervös. Doch gehorsam hatte er seine Schwestern zu dem Gehege geführt. Besser gesagt, er hatte sie begleitet, denn sie waren genauso alt wie er und nicht minder selbständig und bedurften seiner Anleitung nicht.
    Allerdings fiel ihm in letzter Zeit immer öfter auf, dass sie seinen Rat suchten oder sich freiwillig seinen Entscheidungen beugten. Sowohl bei ganz lapidaren Angelegenheiten - etwa, welche Wegabzweigung zum Gehege die kürzeste war -, aber auch bei sehr wichtigen, zum Beispiel, wie sie in Hinsicht auf die spätere Berufswahl ihre Ausbildung ausrichten sollten. Ausgerechnet solch eine Frage, die ja eine gewaltige Bedeutung für ihre Zukunft hatte, stellten sie ihm, kurz bevor sie die Absperrung vor dem Energieschirm des Geheges erreichten. „Geht euren Neigungen nach!" antwortete er. „Tut, was euch Spaßmacht!" Das war die übliche Antwort, die Gharrer auf solche Fragen zu geben pflegten. Doch dann hatte er hinzugefügt: „Rhavet, die Mathematik ist deine Stärke, aber auch deine Vorliebe. Vielleicht solltest du dich für sie entscheiden. Und du, Chethona ... du kommst mir sehr erdverbunden vor. Deine Zukunft liegt in der Agrarökonomie." Chethona legte den Kuppelkopf zurück, um zu ihm, dem etwas höher Gewachsenen, aufzuschauen. „Wenn du alles so genau weißt, Mhogena", sagte sie, „wirst du ja auch schon deine Stärken und Vorlieben erkannt haben."
    Der junge Gharrer sah sie verwirrt an denn darüber hatte er sich noch nie Gedanken gemacht. „Nun ja", sagte er schließlich, „ich glaube, mein Motto lautet: Durch Verzicht gewinnen!"
    „Was ist das denn für eine Antwort? Und überhaupt ... Wie kommst du auf so etwas?"
    „Keine Ahnung", erwiderte er verblüfft. „Das ist mir eben einfach so in den Sinn gekommen." Doch zu Mhogenas Überraschung sollte sich später herausstellen, dass beide Gelegeschwestern seinen Rat befolgten, obwohl sie sonst keine Gelegenheit ausließen, ihm zu widersprechen, ihn zu hänseln und herauszufordern.
    Jetzt allerdings interessierte ihn nicht im Geringsten, ob seine Gelegeschwestern etwas um seine Ratschläge gaben. Zutiefst verstört versuchte er zu ergründen, was es mit dieser Stimme auf sich hatte. „Wer bist du?" fragte er und bemerkte gleichzeitig, dass Rhavet und Chethona ihn verwundert betrachteten, obwohl sie Lichtjahre weit von ihm entfernt zu sein schienen und er sie kaum noch ausmachen konnte. Doch die Stimme
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