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1966 - Der Schattenbruder

Titel: 1966 - Der Schattenbruder
Autoren: Unbekannt
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beantwortete seine Frage nicht. Öffne deinen Geist, sagte sie stattdessen, und lass dich tragen.
    Mhogena konnte sich vorstellen, was mit der ersten Aufforderung gemeint war. Einige wenige Gharrer, zu denen er anscheinend zählte, waren nicht nur imstande, die Emotionen anderer Wesen zurückzuwerfen, sondern ebenso, sie wahrzunehmen, auch wenn sie nicht ihnen selbst galten. Wer diese Ausprägung der Reflexion beherrschte, konnte aus eigener Initiative feststellen, welche Gefühle sein Gegenüber ihm entgegenbrachte, ohne abwarten zu müssen, bis sie ihm buchstäblich entgegenschlugen.
    Der junge Gharrer tat, was er in den letzten beiden Jahren seiner Ausbildung gelernt hatte: Er tastete mit seinem psionischen Sinn in die Umgebung.
    Wie ein flackerndes Leuchtfeuer nahm er eine unglaublich starke psionische Quelle wahr. Bislang hatte er Emotionen stets nur bei Gharrern deuten können, die sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden, in ein und demselben Raum, doc4 diese Ausstrahlung registrierte er deutlicher als jede andere bislang, obwohl sie sich viel weiter entfernt befand. Er konnte sie nicht lokalisieren, aber das war auch nicht nötig. Die Ausstrahlung zog ihn mit schier unwiderstehlicher Kraft an. Sein Geist - und seine Psi-Fähigkeit - war dem Blatt einer Ammoniakpflanze vergleichbar, das vom Sturm abgerissen worden war und nun über die Weite des Feldes gepeitscht wurde.
    Körperlos flog er den Weg zurück, den er mit seinen Schwestern genommen hatte, zurück zum Haus seiner Eltern, zurück in jenes Zimmer, in dem er sich von ihnen verabschiedet hatte, bevor er mit Rhavet und Chethona aufgebrochen war, hin zu jener starken psionischen Quelle. Deutlich sah er vor sich, wie seine Eltern dort in jenem Raum saßen, die Mienen ernst vor Sorge und Ungewissheit, Und sie waren nicht allein. Ein dritter Gharrer befand sich bei ihnen, hatte ihnen gegenüber Platz genommen und war anscheinend in ein ernstes Gespräch mit ihnen vertieft.
    Doch sosehr Mhogena sich auch bemühte er konnte das Gesicht dieses Mannes nicht ausmachen. Es wurde keineswegs von einem Helm, einer Kappe oder einem anderen Bekleidungsstück bedeckt, es blieb einfach hinter Schwaden verborgen, die denen ähnelten, die nun seine Schwestern zu verhüllen schienen. Auch seine Kleidung blieb undeutlich. Er ahnte mehr, als er erkannte, dass sie ziemlich ungewöhnlich war, einzigartig unter allen Gharrern. Sofort wusste er, um wem es sich bei dem Fremden handeln musste, auch wenn dies völlig unwahrscheinlich, wenn nicht sogar absolut unmöglich war. „Der Zwilling", flüsterte er. Bislang hatte er versucht, dem psionischen Sog, der ihn anzog, Widerstand zu leisten, doch nun wechselte er die Taktik.
    Er konzentrierte sich auf seine Kräfte und versuchte, zu dem Geist des Fremden vorzustoßen. Die Reaktion bestand aus einem leisen Gelächter, aber es war weder arrogant noch verletzend, eher freundlich. „Bevor dir das gelingt, musst du noch viel lernen, mein junger Freund", vernahm er eine erheiterte, wenngleich gutmütige Stimme.
    Dann wurde seine Aufmerksamkeit von der mentalen Kraft des Fremden mühelos auf das Gespräch geleitet, das gerade in diesem Raum stattfand. „Ich weigere mich, einfach so zu tun, als wäre Mhogena gar nicht vorhanden", sagte seine Mutter. „Als ginge ihn das alles gar nichts an. Schließlich soll hier sein Schicksal bestimmt werden."
    „Glaub mir, Eikheelin, das sehe ich genauso", reagierte der Fremde. „Nichts wird ohne seine Einwilligung geschehen. Er ist sogar Zeuge dieses Gesprächs. Ich bitte euch nur um eure Erlaubnis, dass wir mit ihm sprechen dürfen. Und um die Bereitschaft, seine Entscheidung zu akzeptieren."
    „Aber wieso ausgerechnet Mhogena?" fragte sein Vater. „Wie bist du überhaupt auf ihn aufmerksam geworden, Erhabener? Was zeichnet ihn aus? Er unterscheidet sich in nichts von anderen Jungen seines Alters."
    „Bis zu seinem achten Lebensjahr mag das zutreffen. Doch dann trat seine starke Persönlichkeit immer mehr in den Vordergrund. Seinen Mitschülern fiel es weniger auf, doch seine Lehrer bemerkten, dass er die anderen dominierte, ohne es eigentlich zu beabsichtigen. Er stellt nie besondere Ansprüche, war aber mit allem, was er tat, erfolgreich und wird von allen anerkannt. Seine Ausbilder haben uns auf ihn aufmerksam gemacht."
    Siedendheiß durchfuhr Mhogena die Erinnerung an die Konfrontation mit Pratmoka, den er danach nie wiedergesehen hatte. Ihm war es aufgefallen, aber er hatte es ihm zum
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