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19 Minuten

19 Minuten

Titel: 19 Minuten
Autoren: Jodi Picoult
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einzige Detective bei der Polizei von Sterling, saß ganz hinten auf der Bank in der Umkleidekabine und hörte, wie die Kollegen von der Streife einen Neuling aufs Korn nahmen, der um den Bauch etwas füllig war. »He, Fisher«, sagte Eddie Odenkirk, »wer kriegt denn eigentlich das Baby, du oder deine Frau?«
    »Meine Güte, Eddie«, sagte Patrick, der Mitleid mit Fisher empfand. »Kannst du nicht wenigstens warten, bis wir alle eine Tasse Kaffee intus haben?«
    »Würd ich ja, Captain«, lachte Eddie, »aber wies aussieht, hat Fisher alle Donuts aufgefuttert und - ich seh wohl nicht richtig.«
    Patrick folgte Eddies Blick nach unten, auf seine Füße. Er zog sich normalerweise nicht bei den Streifenkollegen um, aber heute Morgen war er ins Präsidium gejoggt, statt mit dem Auto zu kommen, um ein paar von den Kalorien abzuarbeiten, die er übers Wochenende zu sich genommen hatte. Er hatte Samstag und Sonntag nämlich mit seiner fünfeinhalbjährigen Patentochter Tara Frost verbracht. Ihre Mutter Nina war Patricks älteste Freundin, und seine große Liebe, über die er wohl nie hinwegkommen würde, während sie ohne ihn recht gut klarkam. So hatte er Tara nach zig Memory-Runden und Huckepackritten erlaubt - ein kapitaler Fehler -, ihm die Zehennägel neonpink zu lackieren, was er bis zu diesem Moment völlig vergessen hatte.
    »Die Frauen stehen drauf«, sagte Patrick trocken, während die sieben Männer sichtlich Mühe hatten, nicht in schallendes Gelächter über ihren Vorgesetzten auszubrechen. Patrick streifte sich rasch Socken über, schlüpfte in seine Slipper und marschierte aus dem Raum, die Krawatte noch in der Hand. Eins, zählte er. Zwei, drei. Prompt brach die Lachsalve los und verfolgte ihn den Flur hinunter.
    In seinem Büro schloss Patrick die Tür, band sich die Krawatte um und nahm an seinem Schreibtisch Platz.
    Zweiundsiebzig E-Mails hatten sich übers Wochenende angesammelt - und alles über fünfzig bedeutete in der Regel Überstunden. Er fing an, sie zu sichten, ergänzte gelegentlich die höllische Liste mit Dingen, die der Erledigung harrten. Die Liste wurde einfach nicht kürzer, egal, wie hart er arbeitete.
    Als einziger Detective in einer Kleinstadt lief Patrick stets auf Hochtouren. Anders als die Kollegen in größeren Präsidien musste Patrick sich um alles persönlich kümmern, was auf seinem Schreibtisch landete. Es war nicht leicht, sich für Fälle wie einen ungedeckten Scheck zu begeistern oder einen Ladendiebstahl, für den der Täter maximal zweihundert Dollar Geldstrafe aufgebrummt bekam, während es das Fünffache an Steuergeldern kostete, weil Patrick eine Woche Arbeit in die Sache investiert hatte. Doch jedes Mal, wenn er seine Fälle als reine Lappalien empfand, wurde er wieder unmittelbar mit einem Opfer konfrontiert: die aufgelöste Mutter, der man das Portemonnaie gestohlen hatte, das Rentnerehepaar, das auf einen Trickbetrüger reingefallen war, der fassungslose Lehrer, dem man das Konto leergeräumt hatte. Hoffnung, so wusste Patrick, war genau der Abstand zwischen ihm und der Person, die sich Hilfe suchend an ihn wandte. Wenn Patrick sich nicht hundertprozentig einsetzte, dann würde das Opfer immer Opfer bleiben. Und genau deshalb hatte Patrick bislang in Sterling jeden einzelnen Fall gelöst.
    Und dennoch. Wenn er nachts im Bett lag, fielen ihm nicht seine Ermittlungserfolge, sondern die begangenen Taten der anderen ein. Wenn er den gestohlenen Wagen ausgeschlachtet im Wald entdeckte oder der schluchzenden Frau, die bei einem Date vergewaltigt worden war, ein Taschentuch reichte, hatte Patrick das Gefühl, zu spät gekommen zu sein. Er bekämpfte das Verbrechen, aber er konnte es nicht verhindern. Es war ihm stets einen Schritt voraus.
    Es war der erste warme Tag im März, an dem man zum ersten Mal glauben konnte, dass der Schnee doch demnächst schmelzen würde. Josie saß auf der Motorhaube von Matts Saab auf dem Schülerparkplatz und dachte daran, dass sie in knapp drei Monaten in die Abschlussklasse kam.
    Neben ihr lehnte Matt an der Windschutzscheibe, das Gesicht der Sonne zugewandt. »Komm, wir machen blau«, sagte er.
    »Wenn du blaumachst, kommst du auf die Reservebank.«
    Am Nachmittag sollte die Highschool-Eishockeymeisterschaft von New Hampshire anfangen, und Matt spielte Rechtsaußen. Sterling hatte letztes Jahr den Titel geholt und rechnete fest damit, ihn erfolgreich zu verteidigen. »Zum Spiel sind wir zurück. Du kommst mit«, sagte Matt. Er war es
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