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1850 - Traumtod

Titel: 1850 - Traumtod
Autoren: Unbekannt
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dorthin maßte jeder auf seine Weise gehen. Tara glaubte, einen gangbaren Weg für sich gefunden zu haben.
    Eines Nachts, nachdem sie ihre ehelichen Pflichten hinter sich gebracht hatten und erschöpft und unbefriedigt nebeneinander in die Kissen sanken, murrte Lester: „Wir sollten damit aufhören. Ich habe dabei das Gefühl, daß wir Goedda etwas stehlen."
    „Aber nur, wenn es negative Emotionen in uns weckt."
    „Es ist auch physisch ein schmutziges Geschäft."
    „Goedda will nicht unsere Körper."
    „Trotzdem. Ich möchte die nächste Lektion des Philosophen in Keuschheit empfangen."
    Tara war sehr einfühlsam, und da sie merkte, daß der Sex in Lester Schuldkomplexe gegenüber Goedda weckte, stellten sie ihn ein. Dabei hätte Tara wieder Gefallen daran gefunden; seit der Entdeckung des Kreises hatte es nichts gegeben, was sie so sehr erfüllte wie diese Nebensächlichkeit. In den Lehren des Philosophen gab es keine einzige Passäge, die sich gegen körperliche Vereinigung zwischen Liebenden aussprach.
    Aber Lester war in seiner fanatischen Gläubigkeit so verbissen und verkrampft, daß er sich nichts anderem zuwenden konnte. Er konnte sich den Lehren des Philosophen nur widmen, wenn er sich ausschließlich darauf konzentrierte.
    Tara war zu einfühlsam, um dies nicht zu akzeptieren. Aber sie sah die Angelegenheit viel lockerer.
    Etwas so Erstrebenswertes wie den Tod sollte man mit dem entsprechenden Hochgefühl angehen.
    Es war wieder eine dieser Nächte, in denen Lester wach lag und sich laut das Gehirn darüber zermarterte, ob er denn wirklich nach den Lehren des Philosophen lebte. Er grübelte darüber, warum der Philosoph ihnen nach fast einem Monat nicht die zweite Lektion in der Schule des Sterbens schickte.
    „Was haben wir falsch gemacht?" sinnierte er. „Sind wir nicht würdig, von Goedda aufgenommen zu werden? Was müssen wir tun, um diese Gnade zu erfahren?"
    Noch während er sprach, war es, als ginge ein Wetterleuchten durch das Zimmer. Tara bäumte sich zuckend unter den geistigen und körperlichen Schlägen auf, die auf sie niederprasselten. Obwohl das Flimmern ebenso überraschend kam wie beim erstenmal, kam es nicht völlig unerwartet. Geist und Körper waren darauf vorbereitet und hatten es erwartet sehnsüchtig herbeigesehnt geradezu.
    Für Tara war das zweite Flimmern wie die Wehen bei der Geburt eines Kindes. Dem fast unerträglichen Schmerz folgte ein unbeschreibliches Wonnegefühl.
    Tara konnte diesen Vergleich ziehen, denn sie hatte Kim und Pat auf „natürliche" Weise geboren, ohne jede Erleichterung durch die moderne Medizin. Darauf hatte sie bestanden. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie Lester damit geneckt hatte, daß ein Mann die Schmerzen einer Geburt nie mit heilem Geist würde überstehen können.
    Lester lag schweißgebadet neben ihr, an seiner Brust und den Oberarmen zuckten die Muskeln im Nachhall des körperlichen Schocks konvulsivisch, aber aus seinem Mund kamen wohlige Seufzer.
    „Wie habe ich diesen Moment herbeigesehnt", murmelte er verträumt. „Was kann dem Menschen Schöneres passieren, als ins Elysium gepeitscht zu werden?"
    Tara empfand ähnlich. Sie streckte die Hand aus und fand die seine und umschloß seine Finger. Er drückte die ihren so fest, daß sie meinte, er würde sie ihr brechen. Aber sie verbiß den Schmerz.
    „Ich habe nur auf diese Lektion gewartet", sagte Lester und stützte sich auf einen Arm. „Ich weiß jetzt, was der Philosoph mir persönlich sagen will. Er ruft mich - uns beide - zu Goedda. Ich möchte, daß wir diesem Ruf folgen. Einer soll dem anderen behilflich sein und dann sich selbst auf den Weg schicken."
    „Ja", hauchte sie, „ich empfinde ebenso."
    Als er sich über sie beugte, da war sie bereit für den Todeskuß. Die zweite Lektion des Philosophen hallte noch so stark in ihr nach, daß sie sich geradezu danach sehnte, von Lester auf den Weg gebracht zu werden.
    Als sich seine Lippen um die ihren schlossen und seine kräftigen Finger um ihre Nasenlöcher, da fühlte sie sich auf einmal leicht und leichter werden. Aber ihr war ebenso klar, daß es jetzt geschehen mußte. Wenn erst die Wirkung des Flimmerns nachließ, dann entschwand auch wieder Goeddas Einfluß, und zurück blieb der willensschwache Mensch.
    Tara begannen bereits die Sinne zu entschwinden. Aber sie konnte nicht dagegen ankämpfen, daß ihr Körper sich unwillkürlich gegen die Sterbehilfe wehrte. Es waren motorische Reflexe. Sie wollte eigentlich gar
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