Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Autoren: Ludwig Rellstab
Vom Netzwerk:
Spuk- und Gespenstergeschichten verbrachte. Rellstabs Schulerinnerungen wissen fast nur von einem Schreckensregiment der Prügelpädagogen jener »guten alten Zeit« zu erzählen. Mit den zunehmenden Jahren entschädigte für diese Schülerleiden auch nicht mehr die größere Freiheit daheim. Statt sich mit den Kameraden auf den Straßen zu tummeln, mußte er pünktlich nach Schulschluß zur Klavierstunde antreten. Keine Trägheit, kein Eigensinn oder gar Trotz konnte der unbeirrten Ausdauer des Vaters widerstehen, und wenn auch der Sohn für diese frühe Ausbildung später überaus dankbar sein mußte, so hatte das Kind davon naturgemäß nur die Empfindung einer unnützen Grausamkeit, die ihm einen großen Teil seiner Jugendfreuden ertötete. Der Ruhm, den ihm seine frühe Kunstfertigkeit gelegentlich eintrug, war nur ein verschwindender Honigtropfen in diesem Wermutkelche.
    Auch die Zeitverhältnisse taten alles, um den ruhigen Werdegang fruchtbarer Schulbildung zu durchkreuzen. Sie beschenkten aber um so reicher die aufnahmefähige Phantasie mit andersartigen Bildern. Der Krieg preßte der Zeit seinen mächtigen Stempel auf, und eine dunkle Empfindung dessen, was alle Gemüter damals beseelte, bedrückte auch schon die Kindesseele. Der Ausmarsch der preußischen Truppen zur Besetzung Hannovers, die Schlacht bei Austerlitz, die furchtbare Katastrophe der Schlacht bei Jena und Auerstädt, der Heldentod des Prinzen Louis Ferdinand, der als trefflicher Musiker zu den Freunden des väterlichen Hauses gehörte, das alles waren Ereignisse, die in ihrer niederschmetternden Wirkung auf die Stimmung des Elternhauses beobachtet und empfunden wurden. Im Haß gegen den fremden Eroberer wuchs die Jugend heran. Dem Einrücken der Franzosen sah gleichwohl das Kindesauge mit freudiger Aufregung und Neugier als einem ungewöhnlichen, Schauspiel entgegen, denn die immerwährenden Siege dieser Scharen hatten übermenschliche Vorstellungen von ihnen erweckt. Der erste Anblick französischer Chasseurs enttäuschte nicht wenig. Das Einrücken des siegreichen Feindes zerstörte vieles, was den Reiz der häuslichen Umgebung ausmachte; die Druckerei des Vaters wurde geschlossen, das Personal und damit so mancher Jugendfreund entlassen, und das Verlagsgeschäft war so gut wie vernichtet. Im Haß gegen die übermütigen Gäste waren alt und jung einig; das hinderte natürlich nicht, mit einzelnen Fremden, die der Wechsel der Einquartierung ins Haus führte, Freundschaft zu schließen, und die bunte Farbenpracht der täglich neuen Straßenbilder trug dann schließlich doch im Kinderherzen den Sieg davon. Die Ablieferung der Waffen seitens der Bevölkerung, die befohlene abendliche Illumination nach dem Einzug des Kaisers, die Einrichtung der Nationalgarde aus der Bürgerschaft, ihre erste Parade auf dem Wilhelmplatz – was gab es da nicht alles zu schauen und anzustaunen! Die sonst so stille preußische Hauptstadt glich vollkommen einem Kriegslager. Im Biwak auf dem prächtigen Rasen des Lustgartens, dessen Betreten dem Einheimischen fast als Majestätsverbrechen vergolten wurde, sah der junge Rellstab zum erstenmal die kaiserlichen Garden, hochgewachsene Leute mit schwarzen Bärten und blitzenden Augen, in prächtigen Uniformen mit hohen Bärenmützen und weißen Beinkleidern. Der verworrene Lärm des Lagers, die rotflackernden Feuer, die schwarz emporwirbelnden Rauchsäulen unter dem sternbesäten Himmel einer Oktobernacht und im Hintergrunde die hellerleuchteten Fenster des Schlosses, wo der Usurpator die Gemächer der preußischen Könige innehatte, das war ein Eindruck, der bei einem phantasiebegabten Kinde naturgemäß vom furchtsamen Staunen zu fassungsloser Bewunderung übergehen mußte. Den Kaiser selbst hat Rellstab nur einmal gesehen in schneller Vorüberfahrt, wo der Blick kaum das dreieckige Hütchen und ein graufahles Antlitz auffangen konnte; aber die Wirkung der Anwesenheit des Übergewaltigen hat schon der siebenjährige Knabe verspürt. »Aller Augen«, berichtete er später in seinen Erinnerungen, »folgten dem Haupt mit gebanntem Blick; es herrschte in dem Moment eine atemlose Stille. So groß war die Gewalt, welche die Erscheinung übte, oder vielmehr die der Gedanken, die sich daran knüpften. Dieses flüchtig vorüberschwebende Schattenbild, halb in aufgewirbelten Staub gehüllt, ist der einzige sinnliche Eindruck, den ich von dem gewaltigen, welterschütternden Manne mitgenommen. Allein er war von nicht zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher