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Titel: 18
Autoren: Markus Luengen
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hatte er etwas Neues über einen Sohn von einem Kollegen gehört.
    „Und falls ich nicht gehe?“, fragte ich.
    „Lassen wir das.“
    Natürlich glaubte ich nicht daran, dass ich bald auf eine Privatschule irgendwo in Essex gehen würde und bei meiner alten Tante mit ihrem kauzigen Engländer im Haus leben müsste. Ich hatte die Tante ein oder zweimal in meinem Leben gesehen. Der ganze Gedanke schien völlig absurd, während mein Vater und ich vor dem Kaminfeuer saßen und draußen die Dämmerung hochzog. Pat würde kommen, und in seiner Gegenwart könnte mein Vater seine Show nicht aufrechterhalten. Wie Pat vor dem Auftritt bereits gesagt hatte: Unsere Show musste härter sein als die meines Vaters.
    Nach Minuten des Schweigens und nochmaligem Befeuern des Kamins mit nichtknackendem Holz läutete die Haustürglocke. Mein Vater blieb stumm sitzen, und ich ging zur Tür und öffnete und Pat stand dort. Neben ihm stand Josefine. Ich sah sie irritiert an. Ich konnte nicht einordnen, wo Pat sie so schnell herbekommen hatte.
    Pat grinste breit, Josefine gab mir einen Kuss auf die Wange und sie schoben sich an mir vorbei ins Haus.
    „Du hast dich besorgt angehört, Mann. Da hab ich sie gleich mitgebracht. Erspart viel Fahrerei“, dröhnte Pat im Flur, während er vor uns her ins Wohnzimmer ging.
    „Das ist ja ein Kaminfeuer wie auf dem Fürstenschloss. Hallo, hallo“ begrüßte er meinen Vater. Dieser hatte sich erhoben. Josefine gab ihm die Hand. Wir standen einen Moment unschlüssig herum, und mir wurde klar, dass ich derjenige war, der die weitere Führung übernehmen musste, falls das ganze Gespräch überhaupt noch einen Sinn ergeben sollte.
    „Er will die Band auflösen“, warf ich in die Runde und zeigte mit dem Kopf in Richtung meines Vaters.
    „Welche Band?“, fragte Pat.
    „Unsere Band.“
    „Kapier ich nicht“, sagte er und schaute meinen Vater an. Genauso hatte ich mir das vorgestellt.
    „Nun, das ist etwas verkürzt dargestellt“, ergriff mein Vater das Wort. „Frank wird seine schulischen Leistungen durch einen einjährigen Aufenthalt an einer erstklassigen Einrichtung in der Nähe von London aufrechterhalten Dort macht er seinen Abschluss. Das wird natürlich Auswirkungen auf die derzeitige ... ähhh ... Bandbesetzung haben.“ Mein Vater fixierte nacheinander jeden von uns mit festem Blick in die Augen.
    Josefine stand direkt neben mir. Mir wurde in dem Moment klar, dass ich sie ein Jahr lang nicht sehen würde. Ich würde alle meine Leute ein Jahr lang nicht sehen. Sie alle würden versprechen, mich zu besuchen, und keiner würde kommen. Ich schaute auf meine Schuhspitzen, damit niemand die Feuchtigkeit in meinen Augen erkennen konnte.
    „London?“, fragte Josefine und sah mich an. „Da geht die Post ab! Wir gehen jeden Abend in die Clubs und sehen Schauspieler und laufen in irren Klamotten herum! Hellblaue Wildlederhosen und gelbe Hemden. Ich komme mit!“ Sie warf ihre Arme um meinen Hals und das war die erste helle Sekunde an diesem Tag. Mein Vater schaute irritiert. Ich wusste nicht, ob es an Josefines Lebensfreude oder an der Gefahr lag, dass sein Sohn vom Regen in die Traufe geraten könnte. Ich umarmte Josefine, hob sie hoch und küsste sie endlich.
    „Wo kommt denn jetzt London her? Ich kapier das nicht“, sagte Pat. „Muss ich jetzt auch mit, oder was?“
    Ich setzte Josefine wieder ab und wusste, dass es das Schicksal gab. Ich schob Pat an der Schulter vor mir her in Richtung Terrasse. Ich öffnete die Glasschiebetür und wir traten schweigend hinaus. Es war beinahe dunkel und ziemlich kalt. Wir steckten die Hände in die Hosentaschen und sahen nebeneinander stehend über die Hecke in die Ferne der Siedlung. Am Ende der Straße konnte ich Pats alten VW-Bus parken sehen.
    „Was macht der Bulli?“, fragte ich ihn.
    „Sobald es regnet, steht Wasser im Handschuhfach.“
    Ich drehte mich halb um und erhaschte einen kurzen Blick in das hell erleuchtete Zimmer. Josefine und mein Vater standen am Kamin. Mein Vater schenkte ihr gerade Apfelsaft in ein Glas. Anscheinend unterhielten sie sich bestens.
    „Du weißt, dass Josefine nicht mitkommen kann?“, fragte ich und starrte wieder geradeaus.
    „London“, sagte er.
    „Und die Band?“
    „Dann mach ich eben eine Kneipe auf.“
    „Ich bin achtzehn. Ich bin neunzehn, wenn ich zurückkomme.“
    „Ich bin jetzt schon neunzehn. Du darfst bloß nicht erwachsen werden, das ist der ganze Sinn dahinter. Achtzehn ist ein
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