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1784 - Rückzug oder Tod

Titel: 1784 - Rückzug oder Tod
Autoren: Unbekannt
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unüberwindbares Gebirge. Zerstörte, ausgebrannte Maschinen, dazu immer noch Glutnester, die der einströmende Sauerstoff neu auflodern ließ.
    Mehrere Arbeiter wurden von den Flammen eingeschlossen. Joacquim Mandelliano fand ihre verkohlten Überreste erst nach mehreren Stunden, als die Feuer längst gelöscht waren. Er behielt den Zwischenfall für sich, niemand fragte danach.
    Die Wege für den Abtransport des Schrottes wurden länger. Und immer häufiger mußten einsturzgefährdete Abschnitte gestützt werden.
    Walter Sievens schlief hinter den Kontrollen des Traktorprojektors ein, den er seit mehr als Vierzehn Stunden ununterbrochen bediente. Erst wütende Beschimpfungen schreckten ihn wieder hoch.
    Er blinzelte und versuchte vergeblich, die Augen offenzuhalten. Die Kontrollskalen vor ihm führten einen wilden Veitstanz auf. Dann fühlte er sich von knochigen Fäusten gepackt und vom Sitz herabgezerrt. Seinen abwehrenden Bewegungen fehlte die Kraft.
    „Du bringst uns noch um ... Verschwinde, Mann! Faule Säcke wie dich brauchen wir hier nicht."
    Hatten sie ihn wirklich beschimpft? Oder bildete er sich die Worte nur ein?
    Aber sie hatten ihn davongeschickt. Er stolperte über die eigenen Füße. Der Schmerz, als er stürzte und sich die Unterarme aufschürfte, vertrieb vorübergehend die Müdigkeit. Ächzend taumelte er weiter - im Kreis, denn plötzlich sah er die Arbeiter wieder vor sich. Verschwommene Gestalten, getrübt von einem Vorhang aus Schweiß, Asche und Blut. Der Oxtorner bediente den Traktorstrahl.
    Repariere! Hilf, den Fehler zu beheben.
    „Schlaf dich aus, Mann. Und steh nicht im Weg herum!" Jemand schob ihn zur Seite, zeigte ihm einen engen Nebenraum, in dem nicht mehr gearbeitet wurde. Sievens stolperte über leere Schüsseln, die aus einem Nahrungsspender stammten. Er ließ sich zu Boden sinken, wo er gerade stand; In den allgegenwärtigen beißenden Rauchgestank mischten sich die Ausdünstungen menschlicher Exkremente. Er nahm es kaum wahr, auch nicht, daß er vergeblich versuchte, die angetrockneten Breireste aus einer der Schüsseln herauszukratzen.
    Zum Greifen nahe neben ihm, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, den Kopf vornübergesunken auf der Brust, saß Kathy Mandelliano. Sie schlief.
     
    *
     
    Die Frau saß noch unverändert, als Walter Sievens nach einigen Stunden von einem wahren Geräuschorkan geweckt wurde. Irgendwo in der Nähe war wieder ein Hohlraum eingestürzt.
    Sievens schluckte schwer. Der Hunger ließ sich noch einigermaßen ignorieren, nicht aber das Sandpapiergefühl in der Kehle. Die Zunge klebte als aufgequollener Fremdkörper am Gaumen.
    „Aufwachen, Kathy!" Das rauhe Kratzen der eigenen Stimme erschreckte ihn. „Wir müssen arbeiten." Die Frau schien ihn nicht zu hören.
    Sievens ertastete die Schüssel, an deren eingetrockneten Resten er sich schon vergeblich versucht hatte. Mit einer unwilligen Bewegung schleuderte er sie zur Seite.
    Auf den Knien stemmte er sich hoch, ignorierte verbissen das Gefühl aufkommender Schwäche. Er stieß die Frau an. „Keine Müdigkeit vorschützen! Wir haben uns lange genug ausgeruht."
    Der Verdacht, daß Kathy Mandelliano nicht nur schlief, kam ihm erst, als er sie heftig rüttelte. Kathys Arm fühlte sich starr an, dann kippte sie zeitlupenhaft langsam zur Seite.
    Sie war tot. Gestorben vermutlich an Überanstrengung. Oder an Auszehrung. Oder an beidem zusammen. Auf jeden Fall, fand Sievens, hatte sie einen schönen Tod gehabt - wenn er starb, wünschte er sich auch, einfach nur einzuschlafen.
    Ihm war miserabel zumute. Trotzdem nahm er sich die Zeit und verschränkte die Hände der Toten über ihrer Brust.
    „Sei ihrer Seele gnädig, Herr", murmelte er heiser.
    Und laß unsere Arbeit erfolgreich sein! - Aber das fügte er nur in Gedanken hinzu.
    Der Schlaf hatte ihm gutgetan. Zumindest stand er wieder fester auf den Beinen. Joacquim mußte erfahren, was mit seiner Frau geschehen war, und anschließend würde er selbst bei den Reparaturen wieder mit Hand anlegen.
    Er kam nicht weit. Nach der nächsten Biegung war der Seitenkorridor mit schweren Aggregaten verbarrikadiert. Offenbar hatte Mandelliano vorerst darauf verzichtet, allen Schrott ins Freie zu transportieren.
    Mühsam zwängte Sievens sich durch die verbliebenen Lücken. Gleichzeitig fiel ihm auf, daß die allgegenwärtige Geräuschkulisse verstummt war.
    Warum arbeitete niemand mehr? Er lief schneller. Vor ihm war ein Treppenschacht korkenzieherartig verdreht und
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