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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm
Autoren: Stephanie Seidel
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suchen wir uns eine Furt.«
    »Und was ist mit dem da?« Tanaya starrte das haarige Baby düster an.
    »Ich kann es nicht zurück lassen«, sagte Rulfan. »Es ist zu klein, um für sich selbst zu sorgen. Wenn ich es hier aussetze, wird es sterben.«
    »Na und?« Tanaya zuckte die Achseln. »Du hast gehört, was Geero gesagt hat: Es ist der Nachwuchs von Sha'miis Mördern! Was hast du vor? Willst du das Vieh behalten und großziehen, damit es irgendwann auch dich tötet?«
    Rulfan wandte sich dem Wasser zu. Er hatte keine Ahnung, was er mit dem Baby tun sollte. Von den erwachsenen Tieren – oder Tiermenschen? – war seit gestern Abend keines mehr aufgetaucht, und behalten wollte er das Junge definitiv nicht. Doch er konnte es nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Rulfan war ein Krieger, und so etwas ging ihm gegen die Ehre.
    Vielleicht wissen die Menschen in Bono Rat, dachte er und watete ins Wasser. Die grauen, borkigen Stämme schwankten unter seinen Stiefeln. Sie tauchten ein, blieben aber an der Oberfläche und ließen ihn gut vorankommen. Auf halber Strecke wurde er von Chira überholt. Das Leichtgewicht flitzte ans Ufer, drehte sich um und begann zu kläffen. Rulfan bemerkte, dass die Lupa nicht ihn anbellte, sondern die Stämme. Er runzelte die Stirn, lief jedoch weiter. Ein kurzes Stück noch bis zum Ufer. Regen rauschte auf den Fluss.
    Plötzlich kam im Tropfentanz etwas Schmales hoch; direkt an den Stämmen. Beine!
    Rulfan erschrak, spurtete los und rettete sich an Land.
    Er wollte Tanaya warnen, dass sie am Ufer bleiben sollte.
    Sein Herz sank, als er sich umdrehte und die junge Frau in der Mitte des Flusses entdeckte. Sie hatte nicht gewartet wie vereinbart. Sie war ihm gefolgt!
    »Tanaya!«, brüllte er. »Zurück! Schnell, zurück!«
    Die Telepathin sah Rulfan fragend an, als die Stämme unter ihr zu unseligem Leben erwachten. Insektenköpfe tauchten auf, groß und mit scharfen Zangen bestückt.
    Das holzige Aussehen war die Larventarnung einer riesigen Bellit-Art. (Riesenlibellen) Rulfan versuchte das Unmögliche. Er watete in den Fluss, brüllte und schlug mit dem Schwert aufs Wasser, um die mörderische Brut von Tanaya abzulenken. Doch er konnte seine Gefährtin nicht retten. Eine ganze Horde borkiger Riesenleiber bäumte sich mit klackernden Zangen auf und fiel über sie her.
    Rulfan ließ das Schwert sinken.
    »Es tut mir Leid, Tanaya!«, flüsterte er. Tränen schimmerten in seinen Augen. »Es tut mir so Leid!«
    Als das Reißen und Zerren vorüber war, drehte sich der Albino um. Mit versteinerter Miene nahm er das Waldmensch-Baby auf und trottete los. Chira blickte winselnd zurück. Immer wieder. Er beachtete sie nicht.
    Sie sind alle tot!, dachte Rulfan zutiefst erschüttert.
    Regen lief ihm aus dem Haar. Ich wollte ihnen helfen, ein neues Schiff zu finden. Stattdessen habe ich sie ins Verderben geführt.
    Rulfan traf keine Schuld am Tod der Gefährten, und das wusste er auch. Trotzdem fühlte er sich, als hätte er versagt.
    Man kann von einem Krieger erwarten, dass er seine Freunde beschützt. Das ist mir nicht gelungen. Er ließ den Kopf hängen. Das Junge versuchte ihm über die Schulter zu klettern. Es jammerte und schlug nach ihm, um sich zu befreien. Zerstreut hielt er es am Nackenfell fest.
    Tanaya hatte Recht, wir hätten bei der Culloden bleiben sollen…
    Rulfan verlor sich in trüben Gedanken. Er nahm die Laute in seiner Umgebung nur unterschwellig wahr – den Regen, den Wind, das Knacken in den Ästen der Uferbäume. Erst als Chira zu knurren begann, horchte er auf. Da war noch ein anderes Geräusch! Ein gleichmäßiges, eiliges Stampfen. Jemand folgte ihm!
    Rulfans Hand flog ans Schwert.
    Fünfzig Meter hinter ihm ragte der Waldrand auf.
    Dort stand die Mutter des Babys, wie hingezaubert und mit einer Stachelfrucht bewaffnet. Rulfans Gefühle kochten hoch. Er war der letzte Überlebende einer Gruppe, die nichts weiter gewollt hatte, als ein Schiff zur Weiterfahrt zu finden. Sie hatten nichts Unrechtes getan, im Gegenteil: Rulfan hatte sogar das Junge vor dem Ertrinken gerettet. Trotzdem waren alle gestorben –Geero, Tanaya, Muk'tar und die kleine Thalari.
    Mich kriegst du nicht!, dachte Rulfan grimmig. Er war bereit, seine Verfolgerin zu töten. Die zottige Waldfrau musste nur nahe genug heran kommen.
    Doch er zögerte, als er sie genauer betrachtete. Die Menschenäffin sah so erschöpft aus. Ihr Körper war von Wunden und Schrammen übersät, im Fell hingen zerbrochene
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