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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm
Autoren: Stephanie Seidel
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verwirrt und empört zugleich. Sie warf sich herum, kam zurück gefegt. Der Donner hielt noch immer an. Rulfan wandte sich dem Meer zu. Es strömte wieder heran, nicht in Wellen, sondern in einem einzigen langen Guss.
    Das ist nicht normal! Rulfan lief Chira entgegen. Hier ist nichts normal! Bei Wudan, es wird höchste Zeit, dieses Land zu verlassen!
    Die Lupa erreichte ihren Herrn, schnappte nach seinem Handgelenk und begann zu zerren. Sie winselte, ließ los, rannte ein paar Schritte voraus. Rulfan folgte ihr stirnrunzelnd. Warum benahm sie sich so panisch?
    Es donnerte immer lauter. Rulfan warf einen Blick zurück – und stutzte. Das Meer schien hinter ihm her zu fließen, immer weiter landeinwärts und mit runden Wogen ohne Schaum. Jenseits der langen Fließbewegung waren große rauschende Wellen unterwegs, und hinter denen… Rulfans Augen weiteten sich.
    Eine gigantische Flutwelle stieg aus dem Meer auf, höher und höher – Leviathans Abschiedsgeschenk an Bono! Sie kam auf die Küste zu, in rasender Geschwindigkeit und mit todbringender Wucht. Rulfan warf sich herum.
    Vergessen waren Müdigkeit und Erschöpfung. Er rannte wie nie zuvor in seinem Leben – weg, nur weg vom Wasser! Es umspülte bereits seine Stiefel, weichte den Boden auf und machte das Fortkommen schwer.
    Furchtbares Donnern verfolgte ihn, kam unerbittlich näher. Rulfan sah sich um. Wohin nur? Wie konnte er sich retten?
    Ich muss vom Boden weg, dachte er gehetzt, so hoch wie möglich!
    Rulfan rannte an den Felsformationen vorbei, versuchte sich für eine zu entscheiden. Vorhin hatten sie noch so groß ausgesehen, aber jetzt waren sie winzig.
    Viel zu klein! Die Mörderwelle würde sie überspülen und alles ertränken, was in der Nähe war.
    Rulfan merkte, wie Panik nach ihm griff, seinen Verstand umnebelte. Los, sieh hin! Konzentrier dich!, befahl er sich, machte kehrt und rannte zu einem der Felsen zurück.
    »Chira!«, brüllte er gegen das ohrenbetäubende Donnern an. Es war entsetzlich, auf die Flutwelle zuzulaufen wie auf eine graue Wand des Todes. Sie schien bis in den Himmel zu ragen – und noch immer zu wachsen.
    Rulfan erreichte die Felsformation, sah sich nach Chira um: Der Lupa stand das Wasser bis zum Hals; sie hatte größte Mühe, gegen die Strömung zu schwimmen.
    Rulfan watete ihr ein paar Schritte entgegen, packte zu und hob sie schwungvoll auf den untersten Felsen.
    Keuchend folgte er ihr, schob sie auf den nächsten Vorsprung. Es ging so quälend langsam mit dem Tier als Begleiter – Chira wehrte sich in ihrer Angst, und Rulfan kam durchaus der Gedanke, sie zurückzulassen, um wenigstens sich selbst zu retten. Doch er kämpfte verbissen weiter.
    Längst übertönte das schreckliche Donnern jedes andere Geräusch. Die Mörderwelle hatte die Brandung gekreuzt und schob sich jetzt unaufhaltsam den Strand hinauf. Ihr Kamm war noch immer glatt und rund, und sie überragte die Felsen! Wenn sie nicht bald brach, würden Rulfan und Chira in ihr ertrinken.
    Der Albino kletterte so hoch es irgend möglich war. Er erreichte eine seewärts geschlossene Höhlung, drückte sich hinein und zog die fiepende Chira auf seinen Schoß.
    Er schlang seine Arme um sie, barg das Gesicht in ihrem Fell und sprach ein Gebet. Mehr, konnte er nicht tun.
    Alles Weitere lag in den Händen der Götter…
    ***
    Der Sturm
    Es war 08:23 Uhr Ortszeit, als der Zyklon die Ruinen von Redford Bay erreichte. Grao'sil'aana war mit seinem Schützling noch rechtzeitig zu den Steinhütten der Blauen Lagune geflohen, bevor das Tageslicht gespenstischer Dämmerung wich und furchtbare, nie gehörte Geräusche die Ankunft des Sturms verbreiteten.
    Ein Mensch des 21. Jahrhunderts hätte gewusst, was da den Fluss herauf kam.
    Doch Aruula und Yngve waren Barbaren. Sie sahen Leviathan mit heidnischen Augen – und sein Anblick erschreckte sie über alle Maßen.
    Über dem Wald hing eine schwarze Wolke, riesenhaft in ihren Proportionen und doch bedeutungslos im Vergleich zu dem Monsterrüssel, der aus ihrer Mitte ragte. Sein unteres Ende war breiter als der Fluss. Das obere war gigantisch.
    Regen prasselte schräg herunter, von heulenden Winden getrieben. Der Fluss toste schäumend dahin.
    Ringsum war ein Krachen und Bersten, als wären unsichtbare Kolosse unterwegs.
    Leviathan blieb nicht auf geradem Kurs. Der brodelnde, wirbelnde Rüssel schwenkte mit entsetzlicher Gelassenheit mal nach links, mal nach rechts. Traf er den Wald, rupfte er Bäume wie Grashalme aus; einen
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