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168 - Das fremde Leben

168 - Das fremde Leben

Titel: 168 - Das fremde Leben
Autoren: Thomas Ziebula
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ist weiter gesunken.«
    Wie viel noch?, drängte die Maddrax-Stimme in seinem Kopf. Wie viel Sauerstoff? Frag sie!
    »Wie viele Anteile Sauerstoff enthält die Rotgrundluft noch?«, fragte Gilam'esh.
    Wanil'ama gab den Blick auf ein Sichtfeld frei, das ihr Oberkörper für Gilam'eshs Augen verdeckt hatte. »Siebzehn Komma sechs Prozent«, sagte die Erste Forscherin. »Und es spricht viel dafür, dass er in Zukunft noch schneller sinken wird, denn mit dem Magnetfeld schwindet die Atmosphäre. Rotgrunds Gravitation ist zu schwach, um seine Atmosphäre allein festzuhalten. Der Luftdruck ist jetzt schon deutlich gesunken. Hinzu kommt eine stark erhöhte Sonnenwindaktivität in den letzten zwölf Umdrehungen. Wenn ich die Messdaten der Sensoren richtig interpretiere, werden die Sonnenwinde sogar noch stärker werden.«
    Sie blickte in die Runde; einige der anderen Ikairydree nickten betreten und bestätigten so ihren Befund und ihre Prognose.
    »Wie lange noch?«, fragte Gilam'esh.
    »Ich fürchte, die Atmosphäre von Rotgrund wird sich schneller verflüchtigen als vor vierzig Umdrehungen vorhergesagt.« In einer ratlosen Geste hob Wanil'ama beide Hände und spreizte die Schwimmflossen. »Noch zweihundert Umdrehungen? Noch dreihundert? In spätestens fünfzig jedoch werden wir mit Massenerkrankungen aufgrund von Sauerstoffmangel zu kämpfen haben. Und die meisten von uns werden das noch erleben.«
    Eine Zeitlang sagte keiner ein Wort. Schweigend starrten die Ikairydree vor sich hin. Leg'wanot legte den Kopf in den Nacken und seufzte tief.
    Es wird ein aussichtsloser Kampf, raunte die Maddrax-Stimme in Gilam'eshs Schädel. Ihr könnt ihn nicht gewinnen.
    Ihr könnt nur fliehen…
    »Wohin?«
    Gilam'esh war derart versunken in schwermütigen Grübeleien, dass er die Gegenwart der anderen vergaß und die Frage aussprach, statt sie nur zu denken.
    Die meisten Ikairydree hoben die Blicke und sahen ihn verwundert an. Sein Ruf als Hydree, der gern Selbstgespräche führt, war noch nicht bis zu ihnen vorgedrungen. »Was heißt ›wohin‹?« Leg'wanot stand auf und kam zu ihm. »Was meinst du, Gilam'esh?«
    Gilam'esh wandte sich ab. »Wohin sollen wir fliehen, frage ich mich. Wenn die Hydree auf dem Rotgrund erst einmal an Sauerstoffmangel sterben oder durch zu niedrigen Luftdruck, ist es zu spät.«
    Manil'bud stand noch immer unter dem Kuppelzenit. Sie blickte nach oben zu einem hellen großen Stern, der in der Finsternis leuchtete.
    »Und?«, fragte Leg'wanot leise. Ganz nahe bei ihm stand er jetzt. »Hast du eine Idee, wohin wir fliehen könnten?«
    Gilam'esh schwieg.
    Ich habe dir gesagt, wohin, mein Freund, raunte die Maddrax-Stimme. Sieh nach oben, dort leuchtet mein Heimatplanet, die Erde…
    Gilam'esh hob den Blick. »Was ist das für ein Stern?«, fragte Manil'bud im gleichen Moment.
    »Der dritte Planet unseres Lichtsystems«, sagte Gilam'esh.
    »Die Erde.«
    »Die… Erde?« Leg'wanot runzelte die Stirnschuppen. »Es gibt keinen Stern am Himmel über Rotgrund, der so heißt.«
    »Diesen da oben habe ich selbst so getauft.« Gilam'esh deutete zum Kuppelzenit. »Ein lebensfreundlicher Planet.«
    »Der heißt Ork'huz«, sagte Wanil'ama. »Und dass es auf ihm Leben gibt, ist mir neu.«
    Leg'wanot musterte den Jüngeren so aufmerksam, als würde er versuchen, in dessen Gedanken zu lesen. »Und dorthin sollen wir fliehen?« Er schüttelte den Kopf, sein Scheitelkamm leuchtete rötlich. »Wir kommst du nur darauf, junger Kriegsmeister von Tarb'lhasot?«
    Gilam'esh beugte sich zur Ohröffnung des Kleineren hinunter. »Ich weiß, dass es dort Sauerstoff und Wasser gibt«, flüsterte er. »Oder wenigstens geben wird.« Leg'wanot starrte ihn an wie eine Traumkrakenerscheinung.
    »Wie willst du denn auf einen anderen Planeten flüchten?«
    Wanil'ama lächelte halb wehmütig, halb mitleidig.
    »Vielleicht durch euer Tunnelfeld…«
    Manil'bud sah ihn erschrocken an. »Du redest wie die Verrückten in den Katakomben von Tarb'lhasot…!«
    ***
    Die Feierlichkeiten in der Zentralkuppel berührten Gilam'esh kaum: Die Ehrungen, die Hymnen, der Singsang der Ritualmeisterinnen, der Jubel der Tausenden – all das schwirrte an ihm vorbei. Selbst als er die Stufen zum Korallenstuhl hinaufstieg, Platz nahm und der feierlichen Erklärung des Hochrats Ardi'bud lauschte, mit der dieser ihn zum Ersten Rat von Tarb'lhasot und damit zu seinem Stellvertreter und potentiellen Nachfolger erklärte, empfand Gilam'esh keine Genugtuung.
    Nach seinem
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