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1655 - Die »Heiligen« von London

1655 - Die »Heiligen« von London

Titel: 1655 - Die »Heiligen« von London
Autoren: Jason Dark
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Weise sterben musste?«
    Mir war klar, dass dieser Punkt der Unterhaltung einfach kommen musste. Und ich wollte mich um eine Antwort nicht herumdrücken, so schwer sie mir auch fiel.
    »Es gab ein Motiv«, sagte ich leise. »Ihr Bruder musste sterben, weil er als Pädophiler entlarvt worden ist. Als ein Mensch, der sich an kleinen Kindern verging.«
    Ich hatte sehr leise gesprochen. Niemand der Gäste an den anderen Tischen hatte etwas gehört, und ich behielt Derek Sanders genau im Auge.
    Er sagte nichts, er reagierte auch nicht, abgesehen davon, dass seine Gesichtszüge plötzlich aussahen, als wären sie aus Stein gemeißelt worden. Durch die Nasenlöcher holte er Luft, danach zischte er seinen Satz hervor.
    »Sie bezichtigen meinen Bruder, ein Kinderschänder zu sein?«
    »Nein, ich nicht.«
    »Das haben Sie aber gesagt.«
    »Ich habe nur etwas wiedergegeben.«
    »Und weiter?«
    »Ich gab das wieder, was mir gesagt worden war.«
    Sanders stand unter Strom. Das sah ich ihm an. »Wer? Wer hat es Ihnen gesagt?« Seine Worte hatte er kaum unter Kontrolle halten können. Er sah aus, als wollte er mir im nächsten Moment an die Kehle fahren.
    »Der Anrufer.«
    »Und weiter?«
    »Der Anrufer, das sagte ich Ihnen schon.«
    »Und was sagte er sonst noch?«
    »Nichts. Er lockte mich durch seinen Anruf an den Fundort der Leiche. Das ist alles.«
    Sanders nickte. »Und er bezeichnete meinen Bruder zuvor als Kinderschänder.«
    »So ähnlich.«
    Die Mundwinkel des Mannes drehten sich nach unten. »Das ist ungewöhnlich, so etwas zu sagen. Nein, nicht nur ungewöhnlich. Das ist eine Sauerei, einen Menschen so zu diskreditieren. Das kann ich nicht akzeptieren.«
    »Dann hat der Anrufer Ihrer Meinung nach gelogen?«
    »Ja, das hat er.«
    Ich gab darauf keine Antwort, und das gefiel Derek Sanders ganz und gar nicht.
    »Glauben Sie mir nicht, Sinclair?«
    Ich wiegte den Kopf. »Es ist nicht wichtig, was ich glaube oder nicht. Für mich zählen allein Tatsachen.«
    »Die in diesem Fall keine sind.«
    »Ach, dann ist Ihr Bruder also völlig grundlos gestorben?«
    »Klar.«
    »Ohne Motiv?«
    »Er ist eben einem Irren in die Hände gefallen. Einem Psychopathen. So etwas gibt es doch. Man ist zur falschen Zeit genau am falschen Ort. Da kann man nichts machen.«
    »Das kann es geben«, gab ich zu. »Muss es aber nicht, denn an eine Affekthandlung kann ich nicht glauben. Ich denke eher, dass alles geplant gewesen ist. Hätte man mich sonst angerufen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Für mich war es kein Affekt. Ich habe auch meine Erfahrungen sammeln können, Mr. Sanders. Deshalb sehe ich die Dinge mit anderen Augen an.«
    Ein böser und irgendwie geschliffener Blick traf mich, bevor ich angesprochen wurde.
    »Sie halten meinen Bruder also für einen Kinderschänder?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Aber ich bin erfahren genug, um zu wissen, dass im Leben nichts unmöglich ist. Wir Menschen schauen uns gegenseitig nur vor die Stirn und nicht dahinter.«
    Sanders überlegte. Erst wischte er mit der flachen Hand durch sein Gesicht, dann stützte er das Kinn in seine Handfläche. Dabei bedachte er mich mit einem fragenden Blick.
    »Wenn ich Sie so anhöre, muss ich dann davon ausgehen, dass Sie auf dieser Basis weitermachen wollen?«
    »Genauer, bitte.«
    »Dass Sie davon ausgehen, in meinem toten Bruder einen Kinderschänder zu sehen.«
    »Nicht unbedingt. Ich bin jemand, der sich auf Beweise verlässt. Das haben wir Polizisten nun mal so an uns.«
    »Das akzeptiere ich. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie Beweise suchen werden.«
    »Ja, ich brauche ein Motiv.«
    »Es gibt keines.«
    Derek Sanders hatte es mit einer Bestimmtheit gesagt, die mich hatte überzeugen sollen. Das hatte er aber nicht geschafft, denn als ich tief in seine Augen schaute, da sah ich im Hintergrund ein gewisses Gefühl der Unsicherheit. Möglicherweise auch einen leichten Anflug von Panik.
    »Wenn Sie das sagen«, murmelte ich.
    »Ja, das sage ich.« Er nickte. »Ich kenne doch meinen Bruder, auch wenn Sie das anders sehen.«
    »Das habe ich nicht gesagt, Mr. Sanders. Aber das Leben ist unendlich bunt. Und manchmal überwiegen die dunklen Farben.«
    Er wischte mit der Hand über den Tisch und hätte beinahe das Glas von der Platte gefegt. »Das mag sein, dass Sie so denken müssen, aber in diesem Fall denken Sie falsch. Lassen Sie sich das von mir gesagt sein.«
    »Gut, ich werde…«
    In diesem Augenblick hörte ich die leise Melodie meines Handys. Dass ich gerade jetzt
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