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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg
Autoren: Stephanie Seidel
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Sicherheitsbeamten, warfen sich aber bedeutungsschwere Blicke zu.
    Zhang drehte den Zündschlüssel um. »Schnallen Sie sich an, Mistel Mullock!«, sagte er und gab Gas.
    Rumpelnd und schliddernd fuhr der Geländewagen auf steiniger Piste gegen den Wolkenbruch an. Mullock wusste nicht, dass man in Tibet gut daran tat, bei heftigem Regen in Bewegung zu bleiben. Entsprechend fluchte er vor sich hin.
    Er hatte noch nicht erlebt, wie verdorrte Hochlandsümpfe innerhalb weniger Stunden zu dämonischem Leben erwachten, und er hatte auch noch keine Autos gesehen, die bis zu den Scheiben versunken in einem See steckten, der kurz zuvor noch eine Straße gewesen war.
    Zhang versicherte Mullock, dass sie den Zielort – ein Kloster namens Shinghana – fristgemäß erreichen würden.
    Dann nahm er Funkkontakt zu seiner Militärbasis auf.
    Mullock blieb sich selbst überlassen.
    Schneegraupel pochte plötzlich an die Seitenscheibe, wie Millionen kleiner Finger, ungeduldig und kalt. Mullock dachte an die albernen Unkenrufe, die man ihm in Amerika vorgequakt hatte. Tibet sei ein mystisches Land, hatte er sich anhören müssen. Mullock verdrehte die Augen bei der Erinnerung, krümmte seine Hände zu Hexenkrallen und machte: »Hu-Hu!«
    Dass Hu Zhang ihn verwundert ansah, merkte er nicht.
    Mullock war in Gedanken mit dem Kailash beschäftigt. Er fragte sich, warum Menschen im aufgeklärten 21.
    Jahrhundert noch an solchen Stuss glaubten wie Götter, Magie und die Macht der heiligen Berge.
    Rumms ging es, und der Wagen knallte in ein Schlagloch.
    Zufall, dachte Mullock, und das war es auch. Es gab folglich keinen Grund, sich auch nur einen Moment länger mit Spukgeschichten zu beschäftigen. Weil er es trotzdem tat, entschied Mullock, dass die Höhenluft Schuld war.
    Sauerstoffmangel konnte zu Halluzinationen führen, das war nichts Neues. In der dünnen Luft der Berge sah man schon mal Dinge, die nicht existierten. Yetis zum Beispiel, oder Aktionen vergrätzter Götter.
    Oder dieses Kloster.
    Mullock stützte sich am Armaturenbrett ab und starrte durch die Frontscheibe. Regen strömte an ihr herunter, den die Scheibenwischer kaum bewältigen konnten, und die Weite der Landschaft war im Dunkel des Unwetters verschwunden. Durch das Rauschen und Prasseln auf dem Wagendach, in der Endlosigkeit heftiger Stöße auf unebenem Boden und zwischen hoch spritzenden Dreckfontänen sah Mullock etwas Unheimliches.
    Weiter vorn, vielleicht ein, zwei Kilometer entfernt, war ein Loch in der Wolkendecke. Licht floss herunter, beinahe senkrecht, und hob einen Hügel aus dem nassen Grau. Auf seiner Kuppe stand ein Kloster, verschachtelt gebaut und so trocken wie die Straßen von Texas an einem Sommertag. An den Außenmauern waren vergoldete Statuen angebracht.
    Ein Sonnenstrahl spiegelte sich daran und hüllte das ganze Gebäude für einen Moment in einen leuchtenden Kranz. Als er verlosch, wandte sich Mullock fragend an Hu Zhang. Der nickte nach vorn.
    »Shinghana«, sagte er. »Da wollen wil hin.«
    ***
    Mai 2522
    Ein Kind, zwei Erwachsene und ein klapperiges kleines Steppenpferd zählte Aruula, nachdem sie vom Yakk gesprungen und losgelaufen war – vorbei an dem toten Wollhasen und hin zu dem Mädchen in der Schusslinie. Es hatte sich herumgeworfen, als sie näherkam, und war zu seiner Mutter geflüchtet. Nun stand es bei den Felsen, umfasst von zwei schützenden Armen, und weinte.
    Der Familienvater machte einen zögerlichen Schritt nach vorn. Er sah lächerlich aus, dieser magere alte Mann, wie er einen Stock mit beiden Händen umklammert hielt und grimmig dreinzublicken versuchte.
    Aruula dachte an das Schwert auf ihrem Rücken, ließ den Bogen fallen und blieb stehen.
    »Es war keine Absicht«, sagte sie in der Sprache der Wandernden Völker. »Ich habe auf ein Tier gezielt, nicht auf euer Kind.«
    Die Eltern sahen sich ratlos an. »Was hat sie gesagt?«, fragte die Frau, und Aruula hob erstaunt die Brauen.
    »Bajaaten!«, stieß sie hervor. Sie zeigte auf die Familie.
    »Ihr kommt aus der Steppe, nicht wahr? Ich verstehe ein paar Worte eurer Sprache! Ich bin da gewesen [1] – in Lagtai, bei den Saikhan!«
    »Oi, Saikhan!«, scholl es ehrfürchtig zurück.
    Die Barbarin atmete auf. Offenbar kannten diese Leute den angesehenen Clan der Steppenjäger, das entschärfte die Situation. Ein Glück, denn Aruula hatte es eilig und keine Lust auf langes Palaver. Es war später Nachmittag, und sie wollte Shi'gana noch vor dem Abend erreichen. Sie nickte
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