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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg
Autoren: Stephanie Seidel
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weder von Reportern umlagert werden noch religiösen Fanatikern begegnen wollte. Deshalb hatte man sehr vorsichtig und gezielt die falsche Information gestreut, dass Mullock gleich nach seiner Landung in der tibetischen Hauptstadt Lhasa nach Darchen reisen wurde. Darchen war der Sammelplatz aller Pilger, die den Kailash umwandern wollten. Hier begann der heilige Pfad, und über ihn – so hatte man durchsickern lassen – würde Mullock die Südwand des Berges ansteuern. Diese Reiseroute war absolut glaubwürdig und lag weit von Barkha entfernt.
    Wo also kam der Fremde her? Die Frage beschäftigte auch Hu Zhang. Er hatte einen Gefolgsmann aus den anderen Wagen herüberkommen lassen und besprach sich mit ihm.
    Das Genäsel ging Mullock auf die Nerven. Er war gestresst von der Fahrt durch holperiges Gelände, die Höhenluft setzte ihm zu und er verlangte eine Pause.
    »Was, hiel? Abel das wal nicht eingeplant, Mistel Mullock!«, protestierte Zhang.
    Der Texaner grinste freudlos. »Ich kann auch in den Wagen pinkeln, wenn Ihnen das lieber ist.«
    Falls Hu Zhang Gefühle hatte, wusste er sie gut zu verbergen. Sein verbindliches Asiatenlächeln verrutschte keinen Millimeter, als er anhielt, aus dem Range Rover glitt und in der Weite der Landschaft ein paar filmreife Sicherheitsvorkehrungen traf.
    Mullock hatte noch keinen Fuß auf tibetischem Boden, da schwärmte schon das komplette Begleitteam aus, Maschinenpistolen im Anschlag und schwarze Sonnenbrillen im Gesicht. Auch die nepalesischen Bergführer kamen mit.
    Letztere waren zwar unbewaffnet – so weit reichte das Vertrauen der Chinesen nun auch wieder nicht –, aber es gab ringsum kaum etwas, das man im Zweifelsfall als Deckung nutzen konnte. Deshalb war ihre Anwesenheit durchaus nicht ohne Sinn. Mullock stapfte durch ein Geräuschspalier aus Rufen, schnellen Schritten und entsichernden Waffen.
    Nicht weit entfernt zog ahnungslos eine Nomadenfamilie mit ihren Schafen dahin. Jedes Tier trug einen Lastensattel voll Salz, das auf dem Markt in Nepal gegen Reis getauscht wurde.
    »Kusso depo nigpe?«, rief einer der Männer herüber und winkte. Hu Zhang beantwortete die Frage, wie es denn so ginge, mit einem Warnschuss. Der Knall verwandelte die Schafherde in ein blökendes Durcheinander. Sie floh, gefolgt von acht Nomaden und einem Hund.
    Mullock dachte an saftige Texasrinder und seufzte.
    Yakfleisch, Ziegeneintopf und chinesische Delikatessenplatten hingen ihm zum Hals heraus; er sehnte sich nach einem ordentlichen Steak. Aber Entbehrungen waren der Preis der Gipfelstürmer: Ob am Chimborazo, am Annapurna oder Mount Everest – das Essen kam aus Dosen, und in Dosen passte kein Steak.
    Zielstrebig schritt er zum See hinunter. Mullock war nicht bewusst, dass er dabei den heiligen Pfad überquerte, denn es gab weder Hinweisschilder noch Ränder. Der einzige bescheidene Anspruch dieses Weges war ein Weniger an Steinen, daran konnte man ihn im Geröll der Landschaft erkennen. Aber Mullock hatte keinen Blick dafür. Er musste mal, und da es weit und breit keine Bäume gab, nahm er am Ufer Aufstellung.
    Die nepalesischen Bergführer blickten betreten drein, als er sich in das heilige Wasser erleichterte. Offiziell hatten sie ihre Seelen an die Chinesen verkauft, aber insgeheim beteten sie immer noch zu den Göttern dieser Gegend und empfanden es als persönliche Kränkung, dass jemand deren Wohnstätten entweihte. Besonders den Manasarovar, dieses mythenbesetzte, glasklare Gewässer, von dem es hieß, dass Geisterwesen in ihm wohnten. Allein die Berührung der Wellen konnte schon verletzte Seelen heilen.
    Das erzählte Hu Zhang seinem Schutzbefohlenen nach dessen Rückkehr und schloss mit der für Chinesen erstaunlich humorigen Bemerkung: »Und Dank Ihnen, Mistel Mullock, splechen die geheilten Seelen in Zukunft amelikanisch!«
    Plötzlich fegte ein Windstoß heran. Ihm folgte ein zweiter; der Himmel verdunkelte sich, und es donnerte.
    Gleich darauf brach ein Unwetter los. Bis die Männer ihre Autos erreichten, waren sie völlig durchnässt – und als sie fluchend die Türen zuknallten, begann es zu hageln. Das war nichts Übernatürliches, kein Zeichen verärgerter Gottheiten, nur ein ganz gewöhnlicher Wetterumschwung, wie er in den Bergen ständig stattfand.
    Mullock dachte sich auch nichts dabei, er ärgerte sich nur, weil das Unwetter die Weiterfahrt verzögerte. Die Nepali aber waren verunsichert. Sie wagten keinen Kommentar in Gegenwart der chinesischen
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