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164 - Der vielarmige Tod

164 - Der vielarmige Tod

Titel: 164 - Der vielarmige Tod
Autoren: Ronald M. Hahn
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tote Indiira sahen, fingen sie laut an zu schreien.
    Aruula eilte an Pofski vorbei ins Freie.
    Der Morgen graute schon. Der Regen hatte nachgelassen, doch der Boden war so aufgeweicht, dass er alle Spuren binnen Minuten vernichten würde.
    Aruula stand am Tor. Sie war noch immer nervlich aufgewühlt. Mit allen Sinnen suchte die unmittelbare Umgebung ab, konnte aber nichts entdecken. Auch die Fußspuren der Mörder waren kaum noch zu erkennen.
    Am Tor fiel ihr Blick auf das Gemälde, das ihr schon bei der Ankunft aufgefallen war: Die weibliche Gottheit streckte ihr nicht nur die Zunge heraus; ihr Blick schien sie auch zu verspotten.
    Hinter ihr räusperte sich jemand. Sie fuhr herum.
    Kapitän Pofski und die Magd, mit der er sich angefreundet hatte, standen hinter ihr. »Layla hat mir erzählt, dass es die Göttin Kaàli, darstellt.« Pofski deutete auf das Gemälde. »Ihre Anhänger sind merkwürdige Menschen.«
    »Hat sie deswegen einen Pfeil in der Stirn?«, fragte Aruula.
    Pofski nickte. »Es ist eine Warnung an ihre Jünger, sich hier nicht blicken zu lassen. Aber es hat sie offenbar nicht abgeschreckt.«
    Im Hintergrund riefen Indiiras Verwandte Worte, die Layla in Aufregung versetzten. Schon sprach sie wieder auf Pofski ein.
    »Die Männer, die gestern hier Quartier genommen haben, sind verschwunden«, übersetzte der Aeronaut. »Auch ihr Gepäck ist nicht mehr da. Das haben sie wohl schon vor ihrem Angriff beiseite geschafft.«
    »Dann waren sie Indiiras Mörder?«
    Der Russe deutete nach hinten. »Die Frauen vermuten es.«
    »Aber es waren nur zwei bei uns im Haus!«
    Poski sprach mit Layla. Layla nickte und antwortete ihm.
    »Kaàlis Jünger treten meist zu dritt auf. Einer organisiert, die anderen führen aus.« Pofski räusperte sich. »Layla sagt außerdem, wir sollen lieber verschwinden. Die Frauen glauben, dass der Anschlag nicht Indiira galt, sondern dir.«
    »Mir?« Aruula schaute ihn verdutzt an. »Wieso?«
    »Weil die Kaàli-Jünger nur Reisende entführen.«
    Aruula stutzte. »Aus einem besonderen Grund?«
    Layla sagte etwas. Pofski übersetzte. »So genau weiß sie es nicht. Es geht ihnen wohl nicht um Lösegeld.« Er räusperte sich, und die Magd nutzte den Augenblick, um einen Redeschwall auf ihn loszulassen.
    »Was sagt sie?«, fragte Aruula.
    Der Russe errötete. »Layla sagt, dass die Kaàliten immer nur sehr attraktive Reisende weiblichen Geschlechts entführen.« Er zuckte die Achseln. »Die Menschen hier glauben, dass sie sie ihrer Göttin opfern – und dass nichts sie bewegen kann, ein einmal geraubtes Opfer wieder herauszugeben.«
    Aruula schüttelte sich. »Warum werden sie geopfert? Aus dem üblichen Grund?«
    »Was ist der übliche Grund?« Pofski runzelte die Stirn.
    »Na, dass sie ihre Göttin milde stimmen oder bewegen wollen, ihnen irgendwelche Vorrechte einzuräumen.« Aruula fand es erstaunlich, dass ein wissenschaftlich beschlagener Mann wie Alexander Pofski dergleichen nicht wusste.
    Der Pilot nickte. »So ungefähr.«
    Aruula schaute sich um. Die weinenden Frauen trugen Indiiras in weiße Laken gewickelten Körper aus dem Haus.
    Andere errichteten auf dem Hof einen Scheiterhaufen.
    Obwohl Aruula jetzt nicht mehr das Gefühl hatte, in Gefahr zu sein, wurde sie doch das Empfinden nicht los, dass es besser war, den Weg nach Süden schnellstens fortzusetzen.
    ***
    In den frühen Abendstunden war das Bild des lodernden Scheiterhaufens noch nicht aus ihrem Gedächtnis gewichen.
    Und das, obwohl der Anblick, der sich ihr aus dieser Höhe bot, eigentlich hätte faszinieren müssen.
    Aruula dachte an den vergangenen Abend – an die netten Frauen und Mädchen, mit denen sie gegessen und getrunken hatte, und an die skurrilen Geschichten, die Alexander Pofski zum Besten gab.
    Der Russe stand zu seinem Versprechen, sie auf seinem weiteren Weg ein Stück im Ballon mit zu nehmen. Den größten Teil des Tages hatten sie daher gemeinsam mit dem Sammeln von Brennholz, dem Anfeuern der Dampfmaschine und dem Befüllen des Ballons verbracht. Layla hatte ihnen bei der Arbeit geholfen. Nachdem der Scheiterhaufen in sich zusammengesunken war, hatten die Frauen ein Gebet gesprochen und den Reisenden Gesundheit, gutes Wetter und eine friedliche Fahrt gewünscht.
    Aruula stand am Rand des Korbes. Als sie aus hundert Metern Höhe auf das Gebiet blickte, das unter ihr lag, wurde ihr klar, wie groß die Städte der Menschen früher gewesen waren. Der Urwald breitete sich zwar bis zum Horizont aus, doch
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