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164 - Der vielarmige Tod

164 - Der vielarmige Tod

Titel: 164 - Der vielarmige Tod
Autoren: Ronald M. Hahn
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überall konnte man ruinierte, von Schlingpflanzen überwucherte Gebäude aus rötlichem Gestein erkennen.
    Hier gab es viele schnurgerade durch den Wald führende Pfade. Laut Kapitän Pofski waren es früher »Hauptstraßen« gewesen – Otowajiis, wie sie in der Sprache der Wandernden Völker hießen. Die Ruinen gehörten zur Stadt Deeli.
    Vor fünfhundert Jahren hatten in Deeli angeblich mehr Menschen gelebt als jetzt auf der ganzen Welt. Aruula konnte sich nicht vorstellen, wie man eine so große Stadt in Ordnung hatte halten können. Vermutlich hatte es hier gar keine Ordnung gegeben.
    Jetzt war Deeli auf einen Bruchteil seiner einstigen Größe zusammengeschrumpft. Im Wald ragten nur wenige erhalten gebliebene und neue Gebäude auf. Die Nachfahren der alten Hochkultur ritten auf struppigen Yakks und sechsbeinigen Reptilien. Die Männer waren in weiße Baumwolle und hellbraunes Leder gekleidet, trugen Schnabelschuhe und schützten ihr Haupt mit breitkrempigen Hüten. Ihre Säbel waren krumm und breit. Ihre Frauen hatten weiße Gewänder an und schleppten Vasen auf dem Kopf.
    Als der Schatten des rote Ballons über die Gassen von Deeli fiel, legten die Reiter und Fußgänger den Kopf in den Nacken, schützten ihre Augen mit der Hand und stießen überraschte Rufe aus.
    Pofski, der an der Steuerung stand, tippte freundlich an seine Pilotenkappe. Aruula hob die Hände und winkte den Menschen zu. Gleich darauf überflogen sie einen Marklatz, auf dem allerhand Betrieb herrschte. So kam es, dass zahllose Menschen das unglaubliche Gefährt am Himmel sahen.
    Der Russe grinste. »Manchmal ist es für den Ballonfahrer ganz profitabel, Aufmerksamkeit zu erregen. Manch adliger Herr sucht gern seine Nähe, damit ein wenig von seinem Heldenglanz auf ihn fällt. Nicht zu vergessen die Eitlen und die Geldsäcke. Manche sind sogar spendabel und unterstützen die Wissenschaft mit einem Klafter Feuerholz oder Proviant…«
    »Es gibt vermutlich auch Elemente, die auf ganz andere Ideen kommen«, erwiderte Aruula skeptisch, als sie auf dem Marktplatz unrasierte Burschen mit Strubbelhaar, verschmutzten Lumpen und blitzenden Klingen sah. »Zum Beispiel, ob es ihnen was einbringt, wenn sie uns die Kehle durchschneiden und den Ballon an einen ehrgeizigen Fürsten verkaufen, der damit die Burgmauern seines Feindes überfliegen könnte…«
    »Aruula!« Pofski schüttelte sich. »Was hast du nur für eine schreckliche Phantasie! Male nicht Orguudoo an die Wand!«
    Er schaute in die Tiefe, sah die Burschen, die Aruula meinte, und schüttelte sich noch einmal. »Du hast mich überzeugt«, murmelte er. »Wir übernachten außerhalb der Stadt…«
    Zwar hatte Aruula dies mit ihrer Warnung gar nicht bewirken wollen, aber sie verstand den Aeronauten gut: Nach dem Untergang seiner Heimatstadt war der Ballon seine ganze Habe. Wenn er ihn verlor…
    »Da unten!« Aruula beugte sich über den Korbrand. Zehn bis zwölf Speerwürfe vom Marktplatz entfernt hatte sie im Wald eine mit kniehohem Gras bewachsene, von Tempelruinen umgebene Straßenkreuzung ausgemacht.
    Rechterhand schillerte sogar ein türkisfarbenes Gewässer durch die Baumkronen.
    Kapitän Pofski setzte die Kurbeln seiner mysteriösen Konstruktion in Bewegung, zerrte hier und da an einem Seil und richtete das merkwürdige Gestänge aus.
    Aruula, deren physikalische Kenntnisse beschränkt waren, durchschaute nicht, wie die Mechanik funktionierte. Eigentlich war sie auch nicht wild darauf, es zu erfahren. Angst hatte sie jedoch nicht; schließlich war sie schon in einem Zeppelin, einem Düsenjet und sogar einem Space Shuttle mitgeflogen.
    Trotzdem zog sie jederzeit den Rücken einer Flugandrone oder eines Frekkeuschers vor.
    Schließlich zog Kapitän Pofski an einem anderen Seil, heiße Luft entwich und der Ballon sank dem Boden entgegen.
    Wenige Minuten später kam er sanft unten an. Die Stoffhülle erschlaffte und fiel schließlich neben dem Korb ins Gras.
    Aruula schwang sich über den Rand und hob Pofski ebenfalls heraus, weil es so schneller ging. Sie musterten die Umgebung.
    Die Ruinen aus dem rötlichen Gestein waren beeindruckend.
    Früher mussten sie eine Augenweide gewesen sein, doch Wind und Wetter und die Jahrhunderte der Eiszeit hatten sie abgeschliffen und einstürzen lassen. Hier und da ragten noch ganze Wände und halbe Türme auf, doch genau besehen hatte das Grün gesiegt: Die Natur hatte diese Welt längst zurückerobert. Was hatte Maddrax einmal gesagt? Die Menschen
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