1623 - Der Zombie-Rabe
Ebenso wenig den blinden Mann, der in der Nähe stand und geduldig wartete.
Obwohl Fabricius nichts sah, wurde Urs Hoff mann das Gefühl nicht los, dass er all seine Reaktionen mitbekam. Aus welchen Gründen auch immer, er schaute irgendwie zu.
Urs Hoffmann hatte kaum mitbekommen, dass er den Vogel nicht mehr berührte. Sein Arm war herabgesunken und er glich selbst einem Menschen aus Stein, weil er sich nicht bewegte.
Er starrte in die Augen!
Und die sahen jetzt anders aus. Nicht von der Farbe her, da hatten sie sich nicht verändert. Es war der Ausdruck darin.
Die Augen waren nicht mehr so leer, nicht mehr so tot. Urs Hofmann hatte keine Mühe, es zu beschreiben.
Leben!
Ja, in den Augen war so etwas wie Leben zu erkennen. Urs schien es, als würde der Vogel ihn anglotzen.
Etwas in ihm riss entzwei. Er hatte einen leichten Stoß erhalten und konnte sich wieder normal bewegen. Aus seinem Mund drang ein leises Stöhnen, und er tauchte wieder ein in die normale Welt, in der alles okay war.
Langsam drehte er den Kopf. Er musste Fabricius einfach ansehen, und wieder schien es ihm, als würde der blinde Mann ihn ebenfalls sehen, obwohl sich seine Augen nicht verändert hatten. Zumindest nahm Fabricius ihn wahr, sonst hätte er Urs nicht angesprochen.
»Nun, was sagst du?«
Urs schluckte. Er sah seine Antwort selbst als verrückt an, doch er kam nicht umhin, sie auszusprechen.
»Die ist nicht normal.«
»Was meinst du?«
»Die - die - Haut. Sie ist warm. Dabei müsste sie kalt sein. Der Vogel steht ja nicht in der Sonne. Hier ist Schatten, aber seine Haut gibt diese Kälte nicht ab. Warum nicht? Was ist da geschehen? Weißt du das, Mario?«
Montini schüttelte nur den Konf. Er konnte nicht reden. Die Aussage seines Freundes hatte ihn völlig überrascht. Er bewegte nur die Augen und schaute sich den Raben an.
Fabricius unterbrach das Schweigen. »Wärme«, flüsterte er, »Wärme bedeutet Leben. Versteht ihr?«
Mario und Urs hatten es verstanden. Sie sahen sich nur nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Wenn das zutraf, dann war dieser Steinvogel nicht tot. Das wiederum konnten sie sich nicht vorstellen, und so fragte Mario mit leiser Stimme: »Dann ist er am Leben?«
Der Blinde gab eine rätselhafte Antwort. »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Und wenn er lebt, dann ist es ein Leben, wie wir es nicht kennen.«
»Welches denn?«
»Es gibt einen Begriff«, flüsterte der Blinde, »den ihr sicherlich auch schon mal gehört habt. Zombie…«
Die beiden Männer schauten sich an. »Ja, das ist wahr. Zombies sind lebende Tote.«
»Genau.«
Urs musste lachen. Es drang fast wie das Krächzen eines Raben aus seinem Mund. »Aber Zombies sind Menschen. Das habe ich gehört, auch mal in Filmen gesehen.« Er deutete auf den riesigen Raben.
»Dieser Typ ist kein Mensch. Er kann kein Zombie sein…« Seine Stimme war bei den letzten Worten abgesackt. Das war eine Folge seiner eigenen Unsicherheit, denn plötzlich sah alles anders aus.
Auf einmal dachte er wieder daran, was er bei der Berührung gespürt hatte.
Diese Wärme, dann der veränderte Ausdruck in den Augen.
»Müssen Zombies Menschen sein?«, fragte Fabricius.
»Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr, überhaupt nichts. Da ist alles so verrückt und an den Haaren herbeigezogen. Ich kann es nicht glauben…«
Fabricius winkte nur ab. Dann wandte er sich an Mario Montini. »Und was glaubst du?«
»Nichts, gar nichts. Ich bin überfragt. So etwas habe ich noch nie gehört. Ich habe niemals so große Raben gesehen. Und dann soll das Tier nicht aus Stein sein, obwohl es so aussieht? Ich soll es mit einem ZombieVogel zu tun haben? Das kann es doch nicht geben…«
»Und ob es das gibt«, erklärte der Blinde. »Er ist der Herr. Er ist der Chef. Er ist der Gebieter über die zahlreichen Vögel, die ihr am Himmel seht. Die Raben gehören zu ihm. Er ist ihr Herr. Er hat das Totenreich gesehen. Er holt Botschaften und teilt sie seinen Dienern mit. Er ist ein Vermittler zwischen den Welten. Er hat es geschafft, mit mir Kontakt aufzunehmen, weil er genau weiß, dass ich etwas Besonderes bin und mich der Natur gegenüber aufgeschlossen zeige. Ich habe zwar mein Augenlicht verloren, aber ich bin dafür belohnt worden. Andere Sinne haben sich bei mir stärker entwickelt, ich weiß, dass es Welten gibt, die hinter der normalen und sichtbaren liegen. Genau das macht mich sehr froh. Und euch habe ich ausgesucht, um die Botschaft
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