1623 - Der Zombie-Rabe
Mann. Er reagierte so, als wäre dieser ihm unheimlich geworden. Sein Atem ging dabei scharf und hart.
Fabricius übernahm wieder das Wort.
»Ich spüre, dass ihr durcheinander seid und mir nicht glaubt. Ihr strahlt diesen Unglauben förmlich aus, aber ich will euch überzeugen, damit ihr die Wahrheit erkennt. Ja, ihr sollt Bescheid wissen. Deshalb habe ich euch hierher gebracht, habe euch vorbereitet und habe auch den Tod eurer beiden Bergkameraden hingenommen.«
Überraschung und Entsetzen breiteten sich auf den Zügen der beiden Freunde aus.
»Todd Hayes ist auch tot?«, flüsterte Mario.
»Ja. Aber das tut hier nichts zur Sache«, war die Antwort des Alten.
Jetzt stellte Urs Hoff mann eine Frage. »Was verlangst du von uns?«
»Nicht viel, und ich denke, dass du dafür der richtige Mensch bist, denn du bist anderen Phänomenen gegenüber offener. Geh hin und tue das Gleiche wie ich.«
Urs begriff nicht sofort. »Was soll ich denn machen?«
»Den Raben streicheln. Das habe ich ebenfalls getan. Umarme ihn und fasse ihn dabei an.«
»Und dann?«
»Wirst du uns erzählen, was du dabei empfunden hast. Wir sind beide gespannt darauf.«
Urs Hoffmann war gefordert worden. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Es ging ihm gegen den Strich, diese Figur zu streicheln.
Er fragte sich, was das alles sollte, aber letztendlich war nicht er der Chef, sondern Fabricius. Und der wusste, was er tat.
»Los, warte nicht länger!« Der Blinde lachte. »Ich sehe dich zwar nicht, doch ich spüre, dass etwas nicht stimmt. Du willst nicht. Etwas stört dich, nicht wahr?«
Urs gab darauf keine Antwort. Er war noch nicht bereit, dem Wunsch des Alten zu folgen. Er warf seinem Freund einen fragenden Blick zu.
Montini hob die Schultern und flüsterte: »Geh jetzt.«
Urs ging. Einen langen Schritt trat er nach vorn, um das Denkmal zu erreichen.
Aus der direkten Nähe kam es ihm noch größer vor. Obwohl der Rabe aus Stein bestand, schien es, als wäre er am Leben. Ein zu einem Riesen mutierter Rabe, was eigentlich nicht sein konnte. Das gab es nicht. Das Ding hier musste aus Stein bestehen und es war völlig ohne Leben.
Das redete sich Urs Hoffmann noch ein, bevor er sich entschloss, die Steinfigur zu berühren. Er hatte seinen Arm ausgestreckt und die Finger gespreizt. Schon beim ersten Kontakt spürte er, dass etwas anders war.
Er musste erst nachdenken, um es richtig zu erfassen, dann wusste er Bescheid und stellte fest, dass die äußere Haut nicht so war, wie sie seiner Meinung nach hätte sein müssen.
Sie war irgendwie warm!
Urs hielt den Atem an. Er nahm seine Hand nicht weg und ergab sich voll und ganz seiner Konzentration, denn er glaubte, dass ihm noch etwas aufgefallen war.
Zuckte oder schlug es im Innern des Vogels?
Er war sich nicht sicher, aber sollte es zutreffen, dann hatte er so etwas wie einen Herzschlag gespürt, woran er nicht glauben konnte. Das war einfach unmöglich.
»Was sagst du?«, flüsterte der Blinde ihm zu.
»Ich - ich - bin noch nicht so weit.«
»Lass dir ruhig Zeit…«
Die brauchte Urs auch, denn dieser Vogel war nicht eben klein. Er streichelte eine große Fläche und bewegte seine Hand dabei recht langsam, jedoch intensiv.
Und er spürte an allen Stellen das Gleiche. Es war die Wärme, die nicht verging. Sie blieb, obwohl die Figur in dieser Mulde im Schatten stand.
Sie hätte kalt sein müssen, doch das war sie nicht, und Urs konnte sich nicht vorstellen, woher diese Wärme kam.
Doch, es gab eine Erklärung.
Von innen!
Ja, sie kam von innen. Sie musste sich innerhalb dieser Steinfigur befinden wie eine Quelle.
Urs Hoffmann ging langsam. Er löste seine Hand nicht von der Figur, und seine Gedanken drehten sich einzig und allein um dieses Phänomen. Eine innere Wärmequelle, das war nicht nur verrückt, das war auch nicht zu erklären. Zudem hatte er das Gefühl, noch so etwas wie ein schwaches Zucken zu spüren.
Tatsächlich ein Herzschlag? Beinahe hätte er über seine Vermutung gelacht. Er tat es nicht, weil er völlig durcheinander war. Er ging weiter, ließ die linke Hand an der Figur und blieb dann stehen, als er dem steinernen Vogel in die Augen sehen konnte. Das war nicht alles, denn über seinem Kopf schwebte der leicht gekrümmte Schnabel. Es kam Urs vor, als wollte dieser jeden Augenblick zuhacken.
Es war eine Einbildung, die zum Glück nicht zur Wahrheit wurde, was ihn für einen Moment aufatmen ließ. Dass Mario ihn beobachtete, nahm er nicht wahr.
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