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1620 - Vorleser des Teufels

1620 - Vorleser des Teufels

Titel: 1620 - Vorleser des Teufels
Autoren: Jason Dark
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schon drohend aussprach, als wollte er ein finsteres Versprechen geben.
    Niemand hatte ihn danach gefragt, was er vorlas. Hätte er es ihnen allgemein gesagt, dann hätten sie es auch akzeptiert. Dann hätte er von einer alten Sprache gesprochen, von bestimmten Betonungen bestimmter Worte, die nur wenige Menschen kannten, weil sie zu einer Voodoo-Sprache gehörten. Es war seine Stimme und die Kraft der alten Worte, denen sich keine der Zuhörerinnen entziehen konnte.
    Auch wenn es so aussah, dass sich Karu einzig und allein auf den Text konzentrierte, so war das nicht richtig. Oft genug ließ er seine Blicke über die Zuhörerinnen gleiten.
    Sie waren nur noch Puppen. Es gab nichts anderes mehr für sie als seine Stimme. Die Frauen schienen ihre Seelen abgegeben zu haben.
    Es gab keine unter ihnen, die den Vorleser nicht unentwegt angeschaut hätte.
    Für ihn war es ideal. Er befand sich dicht vor dem Ziel. Nie zuvor hatte er so intensiv gelesen wie an diesem Abend. Sie waren unter sich. Wenn sich jemand trotz allem auflehnte und von Bord fliehen wollte, würde er keine Chance haben. Das Land war zu weit entfernt, und wer wollte schon in der Themse schwimmen?
    Der alte Zauber lauerte. Karu hatte ihn durch sein intensives Sprechen aus der Versenkung geholt. Es lag etwas in der Luft, was nicht zu sehen, dafür aber zu fühlen war. Eine leichte Spannung. Ein Knistern. Die Umgebung schien aufgeladen zu sein.
    Und Karu las weiter. Mal leise, dann wieder lauter. Hin und wieder bestimmte Worte besonders betonend. Mal flüsterte er scharf, sodass sich die Botschaft anhörte wie eine Drohung, dann wurde seine Stimme wieder weich. Sie schien beruhigen zu wollen, aber das war ein Irrtum.
    Karu hatte es geschafft, mit etwas Anderem Kontakt zu bekommen. Man konnte sagen, dass er bereits einen Teil einer anderen Welt geöffnet hatte.
    Das blieb auch seinen Zuhörerinnen nicht verborgen. Unter ihnen breitete sich eine gewisse Unruhe aus. Einige rutschten auf ihren Sitzen hin und her und schauten sich dabei um. Andere hielten die Köpfe gesenkt, um zu Boden zu schauen.
    Und Karu las weiter.
    Seine Stimme hatte jetzt einen anderen Klang angenommen. Sie klang düsterer, drohender. Man konnte annehmen, dass das Finale dicht bevorstand. Und so war es auch.
    Nicht die Frauen, es war Karu, der genau spürte, dass sich die andere Welt nicht sträubte, sich ihm zu öffnen. Sie hatte sich lange genug verborgen gehalten. Jetzt schwangen die unsichtbaren Tore langsam auf, und sie würden das entlassen, was sich hinter ihnen versteckt gehalten hatte.
    Es war etwas zu hören. Das mussten auch die Frauen mitbekommen.
    Sie reagierten nicht. Oder sie wollten die schrillen Schreie nicht wahrhaben. Von Menschen konnten sie auf keinen Fall stammen. Es waren Tierlaute. Ausgestoßen von Wesen, die noch im Unsichtbaren lauerten, was sich bald ändern würde.
    Der Vorleser schaute nicht mehr auf sein Buch. Er hatte den Kopf angehoben und eine gerade Sitzhaltung eingenommen. Er schnupperte heftig, und seine Nasenflügel zitterten dabei.
    Schreie, die keinem Menschen gehörten, drangen an seine Ohren. Auch die Frauen hörten sie und reagierten unterschiedlich. Einige von ihnen schauten hoch, andere wiederum blieben mit gesenktem Kopf sitzen.
    Diejenigen, die ihre Blicke nach vorn gerichtet hatten, sahen, dass sich der Vorleser von seinem Platz erhoben hatte. Durch das erhöhte Podium wirkte er nun noch größer. Er hatte den perfekten Überblick, und er wusste, dass er in wenigen Sekunden sein Ziel erreicht hatte. Von seiner Seite aus war alles getan worden. Dann würden zwei verschiedene Welten zusammenstoßen.
    Jemand drückte die Tür auf. Auch wenn es kein Geräusch hinterließ, fühlte sich Karu gestört. Der Zauber war plötzlich vorbei, und seine Wut mündete in einem Fluch.
    Der Mann, der die Tür aufgedrückt hatte, war einer seiner beiden Vertrauten. Er ging nicht bis zu Karu hin. Mit wedelnden Armen blieb er auf der Schwelle stehen und gab seine Meldung ab.
    »Ein Polizeiboot ist da. Wir werden angehalten.«
    »Was sagst du?«
    »Wir werden angehalten. Was sollen wir tun?«
    Damit hatte Karu nicht gerechnet. Er musste eine Entscheidung treffen.
    Was konnte ihm passieren? Nichts. Sie machten eine kleine Tour. Er saß mit den Passagieren unter Deck und las ihnen vor. Daran konnte niemand Anstoß nehmen, auch die Polizei nicht.
    Sein Mann am Ruder hatte die Geschwindigkeit bereits zurückgenommen, und Karu breitete seine Arme aus wie jemand, der
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