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155 - Reiseziel: Mars

155 - Reiseziel: Mars

Titel: 155 - Reiseziel: Mars
Autoren: Jo Zybell
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Eisscholle stand, war es heiß; unerträglich heiß. Überall Qualm, überall Flammen, überall aufplatzender Erdboden und Eruptionen von Magma und Dampf. Wenige Atemzüge zuvor hätte es noch mindestens zehn großer Schritte bedurft, um den Rand der Eisscholle zu erreichen. Jetzt trennte ihn nur noch ein einziger Schritt von Rauch, Flammen und glühendem Gestein.
    Und die Scholle schmolz weiter. Wie festgefroren stand er in ihrer Mitte. Wohin hätte er sich auch wenden sollen?
    Zwischen Rauchschwaden und Brandherden entdeckte er weitere Eisschollen, die auf dem Glutsee schwammen, einige viele hundert Meter entfernt, andere sehr nahe. Auf einer stand breitbeinig ein Mann mit langem weißen Haar. Rulfan.
    Langsam und reglos versank der Albino im Magma. Erst als die Glut ihm über die Hüfte stieg und seine Kleider und sein Haar bereits brannten, hob er die Rechte und winkte zum Abschied.
    Einen Steinwurf weit entfernt trieb eine Eisscholle mit einer kahlköpfigen Frau vorbei. Sie schrie und gestikulierte wild, bevor sie im Feuer versank. Auf einer anderen Scholle hockte ein großer Kerl mit kantigem Kinn, lässig und entspannt. Er lachte laut, und lachte noch, als Rauchschwaden ihn längst eingehüllt hatten. Mister Black, der alte Rebell, der Zaritsch von Moska, der Klon des letzten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
    Auf einer fernen Scholle sah er eine Frau und ein Kind rasch vorbei treiben. Jenny und Ann. Traurig winkten sie ihm zu.
    Eine Magmafontäne spülte sie samt ihrer Scholle hinweg. Er schrie laut und raufte sich das Haar.
    Eine Leiche trieb zum Greifen nahe an ihm vorbei, eine Frau. Sie hatte die Arme ausgebreitet, ihr Haar wogte wie ein blauschwarzer Schleier im Magmastrom. Ein Langschwert, dessen Klingenspitze abgebrochen war, lag auf ihrem nackten, samtbraunen und mit aufgemalten Linien geschmückten Körper. Für einen Moment glaubte er, sie lebte noch, doch ihre Augenhöhlen waren leer. Er wollte ihren Namen rufen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Er wollte sich über den Rand seiner Eisscholle beugen, um die Tote aus dem Glutmeer zu reißen, doch er vermochte nicht, auch nur den kleinen Finger zu regen.
    Ohne zu versinken und ohne zu verbrennen trieb die Frauenleiche davon, bis Flammen und Rauch sie schließlich seinem Blick entzogen.
    Er weinte. Seine Tränen verdampften, während sie hinab auf seine Eisscholle schwebten. Er blickte ihnen nach und musste erkennen, dass auch das letzte Eis unter seinen Stiefeln verdampfte.
    Dennoch versank er nicht. Im Gegenteil – eine unsichtbare Kraft hob ihn senkrecht nach oben und über alle Flammen, Rauchschwaden und Feuerfontänen hinaus in den schmutzig roten Himmel. Er legte den Kopf in den Nacken. Das Licht des Vollmondes blendete ihn…
    Sein erster Traum nach fast neunzig Tagen.
    Er begriff nicht sofort. Dass es ein Traum war, nicht, und dass er knapp drei Monate geschlafen hatte, sowieso nicht.
    Noch drei oder vier Atemzüge nachdem er die Augen zum ersten Mal wieder geöffnet hatte, hielt er das matte warme Licht über sich in der Decke für den Erdmond. Erst als ein Schatten den Lichtschein verdunkelte und eine Stimme fragte:
    »Wie geht es Ihnen?«, erst dann kehrte die Erinnerung zurück.
    Nach und nach und in kleinen Fragmenten. Zuerst war sein Name wieder präsent: Matthew Drax. Dann ein paar Zufälligkeiten seiner Existenz: das Gesicht seiner Mutter, Aikos Stimme, der Ort seiner Kindheit, Riverside, Aruula, die Air Force, die Community von London, die Daa’muren, Queen Victoria, die Luftwaffenbasis in Köpenick, der Kratersee, Projekt Daa’mur, der Kometeneinschlag, Naoki Tsuyoshi, das Shuttle, ein kleines Mädchen namens Ann…
    Mit all diesen Namen, Gesichtern, Daten und Orten hatte er zu tun, das war ihm rasch klar, nur was? Stammte er nicht aus der Vergangenheit? Korrekt. Der verdammte Zeitsprung! Die ganze Staffel hatte es fünfhundertvier Jahre in die Zukunft gerissen!
    Und liebte er nicht eine Frau, eine Barbarin? »Aruula…« Er spürte die Bewegung seiner Lippen, hörte seine eigene heisere Stimme. »Aruula, wo bist du…?« Er musste husten.
    »Wir haben Sie aus dem Kälteschlaf geholt, Commander Drax«, sagte die Gestalt, die das Licht über ihm verdunkelte.
    »Es ist alles gut gegangen, Ihre Vitalwerte könnten nicht besser sein.« Sie sprach mit einer Frauenstimme. »Wir befinden uns bereits im Landeanflug. Noch siebzig Stunden bis zur Ankunft auf dem Mars…«
    Kälteschlaf? Landeanflug? Mars?
    Schlagartig
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