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155 - Reiseziel: Mars

155 - Reiseziel: Mars

Titel: 155 - Reiseziel: Mars
Autoren: Jo Zybell
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Morsche Rinde löste sich unter ihrer Hand vom Holz. Sie wischte sie weg, hielt die Sprosse fest, zog das rechte Bein hinterher.
    Windtänzers Hände an ihren Knöcheln und Hüften flößten ihr das Gefühl von Sicherheit ein. Er rief irgendetwas, doch der Sturm riss seine Worte unverstanden in die Tiefe.
    Weiter, die nächste Sprosse, mach schon, alte Frau…
    Fast neunhundert Kilometer hatten sie in einem Luftschiff Baujahr 188 zurückgelegt. Das wartete jetzt sechs Tagesreisen entfernt auf einer Lichtung zwischen hundertneunzig Marsjahre alten Ginkgos. ( zwei Erdjahre entsprechen ziemlich genau einem Marsjahr ) Das letzte Wegstück hatten sie zu Fuß und zu Wasser zurücklegen müssen. Der Uralte wünschte technisches Gerät weder zu sehen noch zu hören. Im Umkreis seiner Grotte – genauer: im Umkreis von zweihundert Kilometern – durfte niemand ein Fahrzeug benutzen. Jedenfalls niemand, der Wert darauf legte, ihn zu sprechen.
    Der Gedanke machte sie wütend. Sie war maßlos erschöpft, ihre Knochen schmerzten, ihre Füße brannten. Ein Bannkreis von zweihundert Kilometern! Unglaublich! Sie nahm sich vor, den Uralten ihre Ansicht über so viel Verbohrtheit wissen zu lassen.
    Statt alter Weißholzrinde berührte sie jetzt eine warme, kräftige Hand. Sie seufzte vor Erleichterung. Die Hand schloss sich um ihre und zog sie nach oben. Geschafft! Endlich wieder festen Boden unter den Sohlen! Sie blickte in Schwarzsteins perlmuttfarbenes Jungengesicht. Trotz des Sturms und der Aufstiegsmühen lachten seine schwarzen Augen. Der Wind hatte ihm einige seiner tausend weißen Zöpfchen aus der Kapuze seiner groben Leinenjacke gezerrt und spielte mit ihnen.
    Hinter ihr nahm Windtänzer die letzten Sprossen der Leiter.
    »Wir sind da!« Er richtete sich auf, lächelte sein gütiges Lächeln und ordnete Schals und Tücher auf seinem Mantel und um seinen Kopf. »Hier irgendwo werden wir ihn finden!« Sein ansonsten rund um die Pigmentierungen fast weißes Gesicht war leicht gerötet, und in seinen dunkelgrünen Augen leuchtete die Vorfreude auf das Wiedersehen mit seinem Lehrer.
    Sie standen auf einem winzigen Hochplateau. Schon sechzig Schritte vom Kaminausstieg entfernt ragte die Steilwand weitere dreitausend Meter nach oben. Kaum ein Busch oder ein Farn wuchs aus ihr. Nur ein wenig Moos bedeckte das rötliche Gestein hier und da.
    Der Seekrater gehörte bereits zum Grenzgebiet zwischen Waldgürtel und Wüste. Jenseits dieser Wand gab es noch höchstens hundert Kilometer weit Spuren pflanzlichen Lebens.
    In dieser Einöde an der Grenze des durch Terraforming begrünten Siedlungsgebietes hauste der Oberste der Baumsprecher, der Uralte, während der Frühjahrs- und Sommerzeit. Seit Jahren, wie es hieß.
    Sie sah sich um. Links lief das Plateau nach siebzig oder achtzig Schritten in einen schmalen Pfad aus, der steil anstieg, bevor er zwischen zwei Felsvorsprüngen in der Wand verschwand. Rechts verengte sich das Plateau schon nach fünfzehn oder zwanzig Metern zu einem Weg, der nahe am Abgrund um eine Felsnadel herumführte und dahinter ihrem Blickfeld entschwand.
    Dort stand der zweite Junge. Etwas schien seine Aufmerksamkeit zu fesseln, denn er hielt den Kopf schräg und regte sich nicht. Nur sein langes blaues Haar flatterte im Sturm.
    Lauschte er? Konnte er denn dort, wo er stand, etwas anderes hören als das Tosen des Sandsturms in der Kratersohle?
    Plötzlich drehte er sich um und winkte. An Windtänzers Seite und hinter Schwarzstein her hinkte sie zu ihm. Ihre rechte Hüfte stach, und in ihren Kniegelenken raspelte die Arthrose mit grober Feile.
    Über die Schulter sah Schwarzstein zu ihr zurück. Er gestikulierte erregt und rief ihr etwas zu, das sie nicht verstehen konnte. Er hatte es plötzlich sehr eilig. Die Sinne der Jungen schienen mehr wahrzunehmen als ihre. Eine Beobachtung, die ihre Stimmung noch weiter verdüsterte.
    Nach der Felsnadel war das Plateau nicht viel mehr als ein achtzig bis neunzig Zentimeter breiter Sims zwischen Steilwand und Abgrund. In Hüfthöhe hatte jemand beringte Eisenkeile in den Fels getrieben und ein Seil durch die Ringe gezogen. Das diente als Geländer. Sie gab sich alle Mühe, das Seil – und nur das Seil – im Auge zu behalten, doch von Zeit zu Zeit wanderte ihr Blick dennoch nach rechts. Mehr als zweitausend Meter unter ihr wirbelte der Sturm Sand und Staub über den Kratergrund.
    Grenztal nannten die Waldleute den Krater, und das Gewässer in seiner Mitte Grenzsee. Sie, die
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