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154 - Die Macht der Nosfera

154 - Die Macht der Nosfera

Titel: 154 - Die Macht der Nosfera
Autoren: Bernd Frenz
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wurde.
    Nun, da sie kurz davor stand, den letzten, entscheidenden Schritt zu tun, begann ihr Herz wild zu klopfen. Sekundenlang fühlte sie sich wie gelähmt. Es kostete sie einige Überwindung, nach dem Dornenstrauch vor ihr zu langen, eine der stachligen Ranken zu packen und an sich heran zu ziehen.
    Der Versuch glückte besser als gedacht. Statt hängen zu bleiben, hielt sie plötzlich ein fest verschlungenes Geflecht in Händen, das sich wie eine Tür zur Seite klappen ließ. Dahinter wurde ein sorgfältig ausgeschnittener Durchschlupf sichtbar, der den Weg zu einem Mauerdurchbruch freigab.
    Obwohl Agnes den Kopf einzog, verhedderte sie sich beim Eintreten an einigen Dornen. Leise fluchend versuchte sie die Ranke fort zu zupfen und stach sich dabei zweimal in den Finger. Dunkelrote Tropfen quollen an den betreffenden Stellen auf. Sie brauchte einige Zeit, um sich freizukämpfen, dann ging es endlich weiter.
    Agnes wedelte mit der malträtierten Hand, um das Brennen in den Fingerkuppen abzuschütteln, doch als sie in den eingestürzten Bereich hinter der Fassade trat, wurde der Schmerz ohnehin zur Nebensache. Fassungslos starrte sie auf eine Reihe abgeschlagener Köpfe, die auf in den Boden gerammten Holzpfählen staken.
    Das senkrecht einfallende Licht, das durch das offene Dach und die löchrigen Zwischenetagen drang, warf zum Glück gnädige Schatten, die ihr einige grausige Einzelheiten ersparten. Trotzdem erkannte sie manche Gesichter wieder. Sie gehörten zu Fahndern der Internen Sicherheit, die schon seit Wochen vermisst wurden. Doch nicht alle dieser schaurigen Trophäen waren Technos. Es gab auch grobe, von Wind und Sonne gegerbte Gesichtszüge, die von Barbaren stammten.
    Zögernd setzte Agnes einen Fuß vor den anderen. Unter ihren Sohlen knirschten kleine Trümmerstücke. Falls diese schaurigen Pfähle zur Abschreckung dienen sollten, erfüllten sie voll und ganz ihren Zweck.
    »Keine Sorge«, erklang eine wohl bekannte Stimme. »Die beißen alle schon lange nicht mehr.«
    Erschrocken sah sie den vor ihr aufragenden Betonkomplex empor. Mochte der Rest des Gebäudes auch langsam verfallen, dieser mit Türlöchern versehene Klotz würde auch noch weitere fünfhundert Jahre Rulands grimmigen Wintern trotzen.
    Zuerst war niemand zu sehen. Erst eine flüchtige Bewegung machte Agnes auf eines der dunklen Rechtecke aufmerksam, die oberhalb von ihr im Beton klafften. Ein triumphierendes Grinsen spaltete Doktor Kullpins Lippen, als er aus der nackten Türöffnung trat.
    »Kommen Sie doch näher, liebe Kollegin«, bat er. »Ich habe Sie schon erwartet.«
    Agnes musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, um den Geröllhang zu erklimmen, der bis in den ersten Stock des inneren Betonkerns führte. Kurz unterhalb von Kullpin blieb sie stehen. Der lauernde Blick, mit dem er sie musterte, gefiel ihr nicht.
    Sie erkannte den Mann kaum wieder. Als er noch in ihrer Abteilung gearbeitet hatte, war er sehr diensteifrig und zuvorkommend gewesen, stets darum bemüht, allen zu gefallen. Nicht nur seinen Vorgesetzten, sondern auch Leuten, die ihm nur assistierten. Typisch für eine Person, die gerne beliebt sein wollte, sich aber nie des eigenes Stellenwertes sicher war.
    Das hatte sich in den letzten Wochen geändert. Inzwischen wusste Kullpin ganz genau, an welcher Stelle der Hierarchie er stand. Ganz oben, an der Spitze.
    Agnes Kolenik, die erst vor wenigen Monaten eine wohlmeinende Beurteilung über ihn geschrieben hatte, schlug die Augen nieder.
    »Ich brauche Serum«, flüsterte sie. »Ganz dringend. Ich sitze schon seit Tagen auf dem Trockenen.«
    »Natürlich brauchen Sie das, liebe Kollegin. Das Serum treibt alle zu mir. All jene, die mich früher kaum beachtet haben.«
    Zeigte er deshalb so wenig Rücksicht? Weil er einmal am Drücker sein wollte? Einmal die Macht spüren, dass Leben und Tod von seinem Willen abhingen? Oder ging es ihm doch nur darum, bis in alle Ewigkeit mit genügend Serum versorgt zu sein?
    Agnes wusste es nicht. Im Prinzip scherten sie seine Motive auch nicht. Sie war hier, weil sie Serum brauchte.
    Den Blick weiter gesenkt, griff sie zu der Umhängetasche an ihrer Seite und zog einen kleinen Kunststoffkasten hervor. Als sie ihn öffnete, wurde das chirurgische Besteck sichtbar, das in ihrer Familie schon seit Generationen weitervererbt wurde.
    »Was soll ich damit?«, fragte Kullpin, als sie es ihm entgegen hielt.
    »Das ist Qualitätsware aus Solingen«, antwortete Agnes.
    »Damit lässt sich jede
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