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1505 - Dorina, die Friedensstifterin

Titel: 1505 - Dorina, die Friedensstifterin
Autoren: Unbekannt
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werdenden Gestank. „Hör auf!" sagte Dorina plötzlich. „Tut mir leid, Kleines", sagte Warna. „Aber es geht nicht anders. Diese Zweige müssen weg, wenn wir ordentlich ernten wollen."
    „Aber du tust ihnen weh!"
    „Das ist doch Unsinn, mein Schatz. Bei Pflanzen ist das etwas ganz anderes als bei Tieren. Denen macht das nichts aus."
    „Aber riechst du denn nicht, wie sie vor Schmerzen schreien?"
    Warna Vaccer zuckte zusammen. Sie ließ den Tomatenzweig los, den sie gerade eben abgeschnitten hatte. Der Zweig fiel zu Boden. Warna hätte sich in diesem Augenblick gar nicht darüber gewundert, wenn er „Aua!" gesagt hätte. „Das liegt nur an dem Saft", behauptete sie, aber sie spürte, wie ihre Stimme zitterte. „Wenn er mit der Luft in Berührung kommt, verändert sich der Geruch."
    „Das stimmt nicht!"
    Warna riß sich zusammen. „Es ist wirklich so", sagte sie fest. „Wenn ich hiermit fertig bin, werde ich dir am Bildschirm erklären, woran es liegt."
    „Das kannst du nicht."
    „Dorina ..."
    „Diese hier hast du noch nicht angerührt. Trotzdem stinken sie. Sie sagen damit, daß sie Angst haben."
    „Dorina, Pflanzen haben keine Angst."
    „Haben sie doch! Ich rieche es!"
    „Es ist nur eine chemische Reaktion, die ..."
    „Von meinen Pflanzen wirst du nichts abschneiden! Und von denen dort jetzt auch nicht mehr.
    Laß diese Pflanzen in Ruhe! Was du mit ihnen tust, das ist schlimmer als Mord!"
    Dorina hatte ein seltsames Gefühl, als sie das sagte. Irgend etwas war anders als sonst.
    Unwillkürlich erwartete sie eine entsprechende Reaktion ihrer Mutter, denn Warna war in solchen Dingen sehr empfindlich.
    Aber Warna sagte nichts. Die sorgsam ausrasierten Stellen um ihre Augen herum und die Wangen hinunter, da, wo die bronzefarbene Haut zu sehen war, wirkten sehr hell, und das feine Netzwerk der Falten trat deutlicher als sonst hervor. „Mord", wiederholte Dorina. Es war ein schreckliches Wort, das sich ganz seltsam in ihrem Mund anfühlte, und wie ein Echo in ihrem Schädel widerhallte. „Widerlicher, stinkender Mord!"
    War es wirklich so still geworden, oder bildete sie sich das nur ein? Es schien ihr, als hielte der ganze Garten die Luft an. Die Mi’inahs schwiegen, und selbst das Rascheln der Blätter hatte aufgehört.
    Warna holte tief Luft. Auf ihrem Gesicht zeigte sich jener Ausdruck, der immer dort erschien, wenn sie sich anschickte, ihrer Tochter die unvermeidlichen Tatsachen des Lebens zu erklären. Derartige Vorträge begannen immer mit den Worten: Aber Kleines, jetzt hör mir doch erst mal zu.
    Dorina haßte diese Einleitung. „Aber Kleines, jetzt hör mir doch erst mal zu!" sagte Warna Vaccer prompt. „Du hast doch eben selbst etwas getan, was ihnen sicher nicht gefallen würde, wenn sie ... wenn sie wirklich so empfindlich wären, wie du glaubst. Du hast ihre Früchte abgepflückt. Haben sie da etwa gestunken?"
    „Nein, haben sie nicht", gab Dorina zu. „Aber das liegt nur daran, daß es ihnen nicht weh getan hat. Mit den Früchten ist es etwas anderes als mit den Zweigen."
    „Wie du meinst. Trotzdem muß ich jetzt weitermachen."
    Dorina sagte nichts. Sie stand da und starrte ihre Mutter unverwandt an. „Sieh doch mal nach, was der Sluck da drüben auf dem Hügel macht", schlug Warna Vaccer vor. „Nein!"
    Warna war ratlos. Die Tomatenpflanzen mußten nun einmal beschnitten werden, und sie hatte jetzt gerade Zeit dazu. Es war unmöglich, diese Arbeit zu verschieben. Es würde Tage dauern, bis sie wieder dazu kam, und bis dahin würden diese Zweige fast einen halben Meter lang sein.
    Sie setzte das Messer an und schnitt den nächsten Seitentrieb ab.
    Die Pflanze stank. Dorina fauchte - fauchte wie ein wütender Sluck. Mord.
    Das Wort hallte durch Warna Vaccers Gedanken, und der Geruch der Pflanzen war wie ein nicht enden wollender, entsetzlicher Schrei.
    Widerlicher, stinkender Mord! schrie dieser Geruch.
    Warna Vaccer ließ entsetzt das Messer fallen.
     
    *
     
    Dorina wußte, daß sie etwas sehr Schlimmes getan hatte.
    Sie hatte Warna erschreckt, und Warna hatte das Messer fallen lassen. Es War ein sehr scharfes Messer gewesen. Darum war es durch den Fuß hindurchgegangen. Segur war aus dem nördlichen Bezirk herbeigeeilt.
    Ein Arzt hatte kommen müssen.
    Und das alles war natürlich schrecklich.
    Jetzt war wieder Ruhe im Haus eingekehrt. Warna saß unten im Wohnraum, den bandagierten Fuß auf einen Hocker gestützt. Segur war bei ihr. Er hatte die für heute angesetzte
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