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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
Autoren: Karl May
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Pause des Überlegens:
    „Ich will aus Rücksicht darauf, daß du ein vornehmer Fremder bist, auf deinen Vorschlag eingehen; aber ich muß dir das feierliche Versprechen abverlangen, daß du nicht entfliehen willst.“
    „Ich gebe es dir.“
    „Du mußt deine Hand in die meinige legen. Das ist so Vorschrift.“
    „Hier!“
    Ich reichte ihm die Hand vom Pferd herab. Es war mir, als ob ich laut auflachen sollte; aber ich bewahrte mir den nötigen Ernst und wurde von dem Bascha mit einigen feierlichen Worten entlassen.
    Als wir uns anschickten, fortzureiten, machten uns die Leute in ehrerbietiger Weise Platz. Der osmanische Richter pflegt sich einer tyrannischen Unfehlbarkeit zu befleißigen. Der alte Kodscha Bascha machte wohl keine Ausnahme von dieser Regel. Heute aber hatte sein Ansehen einen gewaltigen Stoß erlitten. Daß er das gar wohl fühlte, sah ich an dem finstern Blick, den er uns noch zuwarf, bevor er hinter der Tür verschwand.
    Und noch einen gab es, der mit diesem Ausgang nicht zufrieden war – der Bettler.
    Es war ganz zufällig, daß ich auf ihn sah, und da hätte ich erschrecken mögen vor dem Blitz, den er aus seinen dunklen Augen auf mich schleuderte. Ein Mensch, der solche Blicke hatte, konnte unmöglich stupid sein. Ich begann die Überzeugung zu hegen, daß der zur Schau getragene Blödsinn nur eine Maske sei.
    Der Haß dieses Menschen war kein instinktiver, sondern ein selbstbewußter und wohlbegründeter; das sah man seinem Blick an. Was hatte er mit mir? Wo war ich ihm begegnet? Was hatte ich ihm getan? –
    Ich war überzeugt, daß ich ihn hier nicht zum erstenmal sah. Wir waren uns schon früher einmal begegnet. Aber wann, wo und unter welchen Umständen? Das wollte mir nicht einfallen, sosehr ich auch, als wir jetzt heimritten, darüber nachsann.
    Es stieg die Ahnung oder vielmehr die immer stärker werdende Überzeugung in mir auf, daß ich mit dem Bettler auf irgendeine Weise zusammengeraten würde. Es dämmerte in mir die Vermutung, daß er mit dem Zweck unserer Anwesenheit in irgendeiner Beziehung stehe, und ich nahm mir vor, ein scharfes Auge auf ihn zu haben.
    Natürlich war sowohl Ibarek wie auch sein Verwandter über den bisher glücklichen Ausgang unseres Kriminalfalles sehr erfreut. Sie fragten, ob ich mich vor der späteren Verhandlung fürchte, und ich versicherte ihnen, daß mir dies gar nicht einfalle. Als ich dann den Wirt fragte, ob er nicht vielleicht einen verschwiegenen, zuverlässigen Knecht habe, brachte er mir einen Mann, dem ich den Auftrag erteilte, sich schnell in den Hof des Bascha zu begeben und heimlich den Bettler zu beobachten. Es lag mir daran, zu erfahren, ob er dort bleibe oder sich entferne.
    Halef hörte das. Er benützte die nächste Gelegenheit, als ich mit ihm allein war, und fragte:
    „Sihdi, warum läßt duden Bettler beobachten? Hast du etwas mit ihm vor?“
    „Nein, sondern ich glaube vielmehr, daß er etwas mit uns vorhat.“
    „Wieso?“
    „Hast du nicht bemerkt, daß er uns so ganz eigentümliche Blicke zuwirft?“
    „Nein; ich habe ihn nicht beobachtet.“
    „So beobachte ihn, wenn wir ihn wiedertreffen. Es ist mir ganz so, als ob wir ihm schon einmal begegnet seien.“
    „Wo denn?“
    „Das weiß ich leider nicht. Ich habe bereits darüber nachgesonnen, aber es fällt mir nicht ein. Es muß weit von hier gewesen sein.“
    „Da wirst du dich irren.“
    „Schwerlich.“
    „Wie sollte der Krüppel von so weit hierhergekommen sein? Er kann ja kaum laufen.“
    „Hm! Vielleicht verstellt er sich nur.“
    „O nein. Es ist ihm anzusehen, wie elend er ist. Man glaubt oft, einem Menschen begegnet zu sein, und das hat nur den einen Grund, daß Menschen einander ähnlich sind. Als der Mübarek an uns vorüberging, hatte ich ein ganz ähnliches Gefühl. Es war mir, als ob ich ihn schon gesehen hatte.“
    „Wirklich? Das ist interessant.“
    „Warum?“
    „Weil ich ganz dasselbe denke.“
    „So haben wir einmal irgend jemand gesehen, der ihm sehr ähnlich sieht.“
    „Nein. Wir müssen ihn selbst gesehen haben. Hast du nicht bemerkt, welchen Blick er mir zuwarf?“
    „Ja. Es war, als ob er sich das nicht merken lassen wollte.“
    „Es war wohl auch gar nicht seine Absicht, mich anzusehen; aber er konnte sich doch nicht beherrschen. Er hat sich verraten.“
    „Und dennoch wirst du dich irren. Ich weiß, daß auch ich mich irre. Der Mann, den ich mit dem Mübarek verwechsle, hat einen langen, vollen Bart gehabt.“
    „Das weißt
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