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141 - Das trockene Meer

141 - Das trockene Meer

Titel: 141 - Das trockene Meer
Autoren: Ronald M. Hahn
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der Räuber so dicht an die Kaimauer getrieben, dass er ihm nur noch einen Tritt zu verpassen brauchte, damit er im hohen Bogen in das schwarze Wasser klatschte.
    Die Hilfeschreie des Lumpen erregten die Aufmerksamkeit der Mannschaft der Wanja, die sich am Bug versammelte und die fruchtlosen Versuche der Hafenratte, sich wieder an Land zu ziehen, mit höhnischen Kommentaren und Applaus begleiteten.
    Der Hüne focht nun gleichzeitig gegen den Anführer und einen weiteren Angehörigen des räuberischen Quartetts. Sein Schwert wirbelte so heftig, dass die Angreifer fluchtend schrittweise zurückwichen.
    Ooleg griff erneut von hinten an. Er krachte ins Kreuz des Hünen, der nun strauchelte. Die flache Seite von Oolegs Klinge traf seinen Hinterkopf. Als er mit dem Schwert in der Hand zu Boden fiel, senkte Ooleg seine Waffe und zielte mit der Spitze auf seine Kehle.
    »Stech ihn ab«, knurrte der Anführer aufgebracht.
    Dies ging Urla nun doch über die Hutschnur.
    Mit einem Satz sprang sie in den Kreis der Räuber. Ihr Säbel beschrieb einen Kreis; die Klinge bohrte sich Oolegs Brust und biss tief in sein Herz. Blut spritzte. Ooleg sank röchelnd zu Boden. Seine zwei verbliebenen Kumpane stießen einstimmig eine Verwünschung aus, schauten sich an und verschwanden mit wehenden Umhängen im Dunkel des Hafens. Der Mann, der ins Hafenbecken gefallen war, schien untergetaucht zu sein.
    Ob er ertrunken war oder sich schwimmend davonmachte, ließ sich nicht sagen.
    »Vielen Dank, Madam«, sagte der Hüne. Er stand auf und schob sein Schwert in die Scheide unter seinem Umhang. Er sprach Russki, hatte aber einen Akzent, der Urla an das Britanische erinnerte. Sie wechselte in deren Sprache. »Ich heiße Urla.«
    »Angenehm.« Der Hüne schaute sie verblüfft an, und sie hatte den Eindruck, dass sie ihm gefiel. »Ich bin Black.«
    »Black? Was für ein komischer Name – da du doch weiß bist.«
    Black nickte. »Yeah. Mein… ähm… Vater hatte einen eigenartigen Humor. – Was bedeutet Urla?«
    Urla errötete. »Ein Wort aus der Sprache der Kurjaken. Es bedeutet so viel wie holde Jungfer.«
    »Ach, wirklich?« Black hob die Reisetasche auf. »Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Schreibt die Tradition der Kurjaken eigentlich vor, wie man sich bei jemandem bedankt, der einem das Leben gerettet hat?«
    »Oh, sicher.« Urla nickte und dachte sich schnell eine hübsche Tradition aus, die es ihr ermöglichte, ziemlich lange in Blacks Gegenwart zu verweilen. »Man lädt ihn zum Trinken ein – bis zur Bewusstlosigkeit.«
    Black schaute sie zweifelnd an.
    »Das ist die reine Wahrheit!« Urla grinste. »Es genügt aber auch schon ein kleiner Schwips.«
    Black atmete auf. »Das klingt schon besser.« Sein Blick fiel auf Ooleg. »Ist in diesem Hafen jemand fürs Aufräumen zuständig?«
    Urla wollte ihm gerade antworten, als aus der Richtung der Wanja zwei amtlich aussehende Gestalten auf sie zu kamen – begleitet von einem Dutzend Matrosen und Offizieren, die den Überfall beobachtet hatten.
    ***
    Der Gasthof, in den Black geführt wurde, hieß »Zum Krummsäbel« und war alles andere als eine Lokalität mit Niveau. Aber Black war schon aus Washington mit den Gossen, in denen der Abschaum der Menschheit lebte, bestens vertraut. Außerdem brauchte er ein Zimmer für die Nacht, und Urla, die in diesem Schuppen wohnte, hatte beim Wirt alles für ihn klar gemacht.
    Der Mann, den sie getötet hatte – die Gendarmen hatten sie zu dieser Tat ausdrücklich beglückwünscht –, war ein gewisser Ooleg. Wer seine Kumpane waren, konnte man nur vermuten; aber nach der Abreibung, die Black ihnen verpasst hatte, würden sie jetzt wahrscheinlich erst mal ihre Wunden lecken.
    Und das machte Tscherskij für einige Tage sicherer.
    »Wovon lebst du?«, erkundigte sich Black, als er vor einer Blechtasse saß, in dem die heiße braune Brühe schwappte, die man im Westen Kafi nannte. Verfeinert mit einem Schuss Voydka.
    Urla bevorzugte das scharfe Gesöff pur. Sie hatte das erste Wasserglas schon geleert, bevor Blacks Getränk genug abgekühlt war, um sich nicht die Lippen zu verbrennen.
    »Ich bin Söldnerin«, erzählte sie. »Ich stehe im Dienst der gnädigen Nadia Saljakin. Sie ist Reederin. Du bist auf einem ihrer Schiffe gekommen.«
    Wie Black erfuhr, war Urla hier geboren. Im Alter von vierzehn Jahren hatte ein unwiderstehliches Fernweh sie gepackt. Sie war mit einem Schiff nach Westen gefahren, hatte sich im nebeligen Britana umgesehen und war
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