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141 - Das trockene Meer

141 - Das trockene Meer

Titel: 141 - Das trockene Meer
Autoren: Ronald M. Hahn
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Senf á la Moska – erfüllte den lang gezogenen niedrigen Raum. Matrosen aus dem Westen feilschten mit dürren Huren um die Befriedigung ihrer Gelüste.
    In einer Nische saß ein bärbeißig aussehender, narbiger Kerl in ungepflegter Kleidung. Seine feiste Wampe drohte sein Wams fast zu sprengen. Als er Ygoor erblickte, fluchte er leise.
    Seine rot umrandeten Säuferaugen musterten den Eintretenden.
    Ygoor schluckte. Um seinen guten Willen zu beweisen, zückte er seine Geldkatze und warf sie vor den Kerl auf den Tisch. Die Hand des Burschen zuckte schlangengleich vor, packte sie und schüttete ein halbes Dutzend Silbermünzen auf den groben Holztisch – in eine Lache verschütteten Voydkas hinein.
    »Ist das alles?« Er musterte Ygoor, der sich bemühte, furchtlos zu wirken.
    »Es ist mein ganzer Lohn, Wadim…«
    »Deine Tante beutet dich aus«, knurrte Wadim. Er steckte die Münzen ein und warf Ygoor die Geldkatze zu. »Du solltest der verfluchten Bestie die Kehle durchschneiden.«
    »Meine Rede.« Ygoor nahm Wadim gegenüber Platz und schaute sich neugierig um. »Wo sind deine Freunde?«
    »Draußen.« Wadim trank einen Schluck aus seinem Humpen und rülpste. »Die Wanja ist eingelaufen. Sie suchen ein Opfer.«
    Er kicherte boshaft. Wadim war der Häuptling eines Quartetts von üblem Ruf. Alkohol und Huren waren sein Pläsier. Solange er über Unterlinge verfügte, die die grobe Arbeit leisteten, saß er gern in verqualmten Schänken und ließ es sich gut gehen.
    »Warum fragst du?«
    »Ich weiß«, sagte Ygoor rasch, »wie wir alle ganz schnell unverschämt reich werden können.«
    Wadim lachte dumpf. »Als ich das letzte Mal auf einen naiven Stutzer gehört habe, der wusste, wie man ganz schnell unverschämt reich werden kann, mussten meine Männer und ich anschließend nach Tscherskij fliehen – in eine Gegend, die sogar die Taratzen meiden.«
    Ygoor errötete. Natürlich, er war kein Fachmann. Aber durfte er deswegen keine Ideen haben? Er war ein Mann des Papiers, ein Schreiber. Wer eine solche Arbeit tat, musste planen können. Also konnte er auch eine gewisse Intelligenz für sich beanspruchen.
    »Ich weiß von einer geheimen Stadt, in der vermutlich ungeheure Schätze auf uns warten…«
    Wadim musterte ihn, als hätte er einen Dachschaden. Dann deutete er auf die Bauernfänger. »Die da kennen die Stadt auch.« Er griff sich an den Kopf. »Du bist ganz schön mutig, dass du es wagst, ausgerechnet mir mit einem solchen Ammenmärchen zu kommen…«
    »Ich habe mein Wissen nicht von Bauernfängern, sondern von meiner Tante«, sagte Ygoor schnell und berichtete leise, was er an diesem Abend erfahren hatte. Je länger er redete, desto konzentrierter hörte Wadim ihm zu. Und das hatte seinen Grund: Nadia Saljakin war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand und kein Ohr für Phantastereien hatte. Außerdem wusste jeder hier, dass der Keller, den ihre Leute ausgegraben hatten, voller Bücher und Schriften gewesen war und dass sie, um diese zu entschlüsseln, einen Schriftgelehrten aus Moska hatte kommen lassen.
    Wadims Ohren schienen mit jeder Minute spitzer zu werden, doch als Ygoor glaubte, ihn überzeugt zu haben, sagte er plötzlich: »Das entscheidende Wort ist vermutlich. Vermutlich gibt es dort Waffen und andere Schätze zu holen. Doch wer sagt uns, dass die Stadt überhaupt noch existiert? Vielleicht hat das Eis sie längst zerdrückt, und alles, was sie an Wertvollem barg, ist längst zu Pulver zermahlen?« Wadim klopfte auf den Tisch. »Und selbst wenn wir sie finden: Woher wissen wir, dass sie nicht von Monstern bewohnt wird? Bekanntlich wimmelt es in diesen Zonen von Menschen fressenden Ungeheuern.«
    »Seit Generationen war niemand mehr da unten«, sagte Ygoor, um sich zu verteidigen. »Vielleicht sind diese Schauergeschichten auch nur Ammenmärchen.«
    Die Tür ging auf. Ooleg, der Übelste von Wadims Bande, schob den Kopf herein. Sein tückischer Blick erfasste seinen Meister, dann winkte er ihm zu.
    Ygoor verstand: Die Passagiere gingen von Bord. Wadims Lumpen hatten ein viel versprechendes Opfer ausgemacht.
    Wadim leerte seinen Humpen, stand auf, zupfte an seinem Halstuch und zog eine dunkle Wollmütze über seinen Schädel.
    »Versteh mich nicht falsch, mein Junge. Auch mich interessiert nichts mehr als rascher Reichtum.« Er kniff die Augen zusammen und deutete mit dem Kinn auf Ooleg. »Aber im Moment ist mir das Wams näher als der Umhang, und ich
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