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141 - Das trockene Meer

141 - Das trockene Meer

Titel: 141 - Das trockene Meer
Autoren: Ronald M. Hahn
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schließlich mehrere Jahre an Eurees Küsten entlang gesegelt. Sie ließ sich aber nicht darüber aus, welchem Gewerbe ihr Kapitän nachgegangen war.
    Jahre später war sie nach Tscherskij zurückgekehrt. Nun stand sie im Dienst einer Dame, die sie mit dem Säbel schützte, wenn sie das Haus verließ. Manchmal fuhr sie auch auf einem der Segler ihrer Gnädigen mit – wenn er Fracht geladen hatte, die besonders schützenswert war.
    Als Urla sich das zweite Glas Voydka munden ließ, hatte Black seinen Kafi erst zur Hälfte ausgetrunken. Als er sich gerade fragte, ob es angeraten war, etwas zu essen, feuerte die junge Frau mit dem schwarzen Pagenkopf eine Salve von Fragen auf ihn ab. »Und was machst du? Bist du Offizier? Oder Kaufmann? Stehst du in den Diensten eines Fürsten? Was sind das für seltsame Instrumente an deinem Gürtel?«
    Black gehörte zwar nicht gerade zu den leutseligen Menschen, doch Urlas ungezwungene Art nahm ihn ein. Sie war ein Kind – ein hübsches Kind –, das so gut mit einer Klinge umgehen konnte, wie Drax’ Gefährtin Aruula. Und außerdem war sie – wie Mr. Hacker sagen würde – inzwischen
    »schwer angebraten«. Black sah es am Glanz ihrer Augen und an ihrer sekündlich zunehmenden Zutraulichkeit. Dass Urla Gefallen an ihm fand, hätte nur ein Blinder übersehen. Sie schäkerte mit ihm; dann und wann griff sie sogar über den Tisch und berührte seine Hände.
    »Ich bin Forscher«, erwiderte Black vorsichtig, da er nicht wusste, wer ihnen zuhörte.
    »Sag bloß.« Urlas Blick, der sich fest auf sein Gesicht heftete, zeigte puren Unglauben. »Ich dachte immer, Forscher sind klein und mickrig und können schlecht sehen.« Sie kicherte albern. »Jedenfalls sehen so die Gelehrten aus, die im Dienst meiner Gnädigen stehen.«
    Eins zu null. Auch Black kannte keinen Gelehrten, dessen Schultern so breit waren wie die seinen.
    Er zuckte die Achseln. »Ich habe natürlich auch eine militärische Ausbildung genossen«, erwiderte er. »Forscher, die sich allein in die Wildnis wagen, müssen überlebensfähig sein.«
    »Das seh ich ein. Nasdrowje.« Urla prostete ihm zu. »In welche Wildnis willst du?«
    »Den Kolyma hinauf«, erwiderte Black. »Nach Süden.«
    Urla zuckte zusammen. »Am Oberlauf des Kolyma ist es sehr gefährlich«, murmelte sie. »Da wagt sich aus Tscherskij schon seit langem niemand mehr hin.«
    Black horchte auf. »Dann gibt es keinen Schiffsverkehr in diese Region?«
    Urla schüttelte den Kopf. »Etwa zwei Drittel der Strecke kann man per Schiff zurücklegen, aber weiter fährt kein Kapitän.« Sie beugte sich über den Tisch und legte eins ihrer entzückenden Händchen auf Blacks Pranke. »Seit dem Ende des dreihundertjährigen Eises hausen dort nur Menschen fressende Mutanten.«
    »Das haben wir in Landán auch gehört«, gab Black schlagfertig zurück. »Und genau deshalb soll ich sie studieren.«
    Urla schüttelte sich, und plötzlich machte sich der Alkohol bemerkbar, der in ihren Adern kreiste. »Dann muscht du schehr mutisch schein, Black«, begann sie zu lallen. Der Voydka schien es in sich zu haben. Sie schaute ihn an. »Isch glaube…«
    Ihre Augen glitzerten, und sie griff erneut nach seiner Hand.
    »Isch glaube… isch könnte jetscht auch ‘ne Tasche Kafi vertragen…«
    Black winkte einer Kellnerin. Die Dame schenkte ihm einen feurigen Blick und zeigte ihm die Zähne, die jedoch lückenhafter waren als ein kaputter Gartenzaun, Der Kafi ernüchterte Urla zwar nicht, doch dafür wurde sie noch anlehnungsbedürftiger. Sie stand auf, wankte um den Tisch herum, nahm neben Black Platz und lehnte den Kopf an seine Schulter. »Isch bin müde«, seufzte sie. »Bring misch ins Bett…«
    »Ich… ähm…« Black schaute sich um. Er zeigte sich nicht gern in Gesellschaft angesäuselter Frauen. So etwas schädigte den Ruf eines Gentleman. Und schon gar nicht schätzte er es, mit einer liebeshungrigen Volltrunkenen gesehen zu werden.
    »Bring misch ins Bett, Black«, wiederholte Urla. »Dann erschähl isch dir, wie du an dein Ziel kommscht.« Sie kicherte noch alberner und zerzauste sein Haar. »Schufällisch«, hauchte sie, »musch isch nämlisch auch in dieschelbe Rischtung. Isch… könnte… disch… mitnehm…«
    Sie schlief auf der Stelle ein. Black schaute sich unbehaglich um, doch niemand schenkte ihnen einen Blick. Niemand außer einem jungen Mann mit Umhang und Schlapphut, an dem eine Feder steckte. Er stand am Tresen und seine Mundwinkel waren zu einem
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