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1294 - Der kopflose Engel

1294 - Der kopflose Engel

Titel: 1294 - Der kopflose Engel
Autoren: Jason Dark
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darin etwas herumstocherte, um sie zu finden.
    »Jetzt kann ich noch einen zweiten Schluck vertragen«, flüsterte Mabel. »Aber einen kleinen.«
    »Mach ich doch glatt.« Jane schenkte nach und warf mir dabei einen fragenden Blick zu. Er bedeutete, dass auch sie nicht so recht weiterwusste.
    Als Mabel Denning das Glas geleert und wieder abgestellt hatte, übernahm ich das Wort. »Es ist Ihnen sicherlich klar, Mabel, dass wir noch einige Fragen haben?«
    »Ja«, sagte sie leise. Dann ruckte ihr Kopf hoch: »Aber glauben Sie mir überhaupt?«
    Ich strich mit meiner Handfläche über das Blaugrau des Leders hinweg. »Ja, wir glauben Ihnen.«
    »Warum?«
    »Weil ich davon ausgehe, dass man sich so etwas nicht ausdenkt. Wir haben gesehen, dass Ihre Angst nicht gespielt war. Sie hat Sie bedrückt. Sie stehen oder standen kurz vor einer Panik, und jeder normale Mensch hätte ebenso reagiert.«
    »Danke.«
    Ich hatte mir in der Zwischenzeit Wasser eingeschenkt, trank davon und fragte: »Sie sind sich also hundertprozentig sicher, dass Sie das Gesicht Ihres Vaters gesehen haben?«
    »Das bin ich.«
    »Als Schatten?«
    »Ja, ja, aber er war so dicht«, flüsterte sie. »Und mein Vater hat mich auch in einer bestimmten Art und Weise angeschaut oder angegrinst. Das war nicht gut, John.«
    »Das kann ich mir denken. Nun gehe ich davon aus, dass es einen Grund gehabt haben muss, wenn Sie das Gesicht Ihres Vaters gesehen haben. Nichts passiert ohne Motiv.«
    »Das glaube ich auch.«
    »Er ist doch wirklich tot - oder?« fragte Jane.
    »Ja.«
    »Wo befindet sich sein Grab?«
    Mabel zuckte die Achseln. »Das kann ich dir nicht sagen. Er ist anonym beerdigt worden. Sein Grab befindet sich an einer Stelle auf einem Friedhof, wo Hunderte von Urnen vergraben liegen. Er wollte es so. Ich bin nicht mal bei der Zeremonie dabei gewesen.«
    »Warum?«
    »Es hat sich nicht ergeben. Mein Kontakt zu ihm war nie sehr intensiv.«
    »Gab es einen Grund?«
    Mabel verengte die Augen. »Das ist schwer zu sagen. Man kam an ihn nicht heran. Ich hatte immer das Gefühl, dass er nicht ehrlich zu mir war. Nicht so wie es bei einem Vater und seiner Tochter eigentlich sein sollte.«
    »Das hat Sie gestört?«
    »Und wie, John.«
    »Was war Ihr Vater denn von Beruf?«
    »Psychologe. Tiefenpsychologe. Er hatte also keinen normalen Beruf, wenn Sie das meinen.«
    »Stimmt, das sehe ich auch so.«
    »Führte er eine eigene Praxis?«, fragte Jane.
    »Ja. Es ging ihm wohl auch gut. Er hatte viele Patienten und immer wenig Zeit für die Mitglieder der eigenen Familie. Das kennt man ja von Menschen, die schwer beschäftigt sind.«
    »Sie hatten also Verständnis?«
    »Sicher.«
    »Und was war mit Ihrer Mutter?«
    Mabel winkte ab. »Sie und mein Vater haben sich früh getrennt. Ich bin bei meiner Mutter geblieben. Sie hat mich erzogen. Meinen Vater habe ich nur sporadisch gesehen. Leider ist sie auch tot. Das Herz machte nicht mehr mit, und sie starb auch vor meinem Vater. Zum Glück war ich alt genug, um mich allein durchs Leben schlagen zu können. Und jetzt das«, sagte sie leise.
    »Das ist das eine Problem«, murmelte Jane Collins. »Aber es gibt noch ein zweites.«
    »Und welches?«
    »Der Engel mit deinem Gesicht.«
    Mabel Denning sprach zunächst nicht. Sie schaute ins Leere, nickte und trank einen Schluck Wasser. »Ja, da ist wirklich ein Problem, und ich schwöre, dass ich mir nichts eingebildet habe. Dieser Engel besitzt tatsächlich mein Gesicht.«
    »Wie hast du ihn entdeckt?«
    »Zufall.«
    »Ach.«
    »Ja, es war Zufall. Ich interessiere mich für Kirchen. Oder für Kunst in Kirchen.«
    »Als Hobby?« fragte ich.
    »Ja. Ich wäre gern Kunsthistorikerin geworden. Das hat nicht geklappt. So nahm ich einen Bürojob an. Die Liebe zur Kunst ist geblieben. Sie glauben gar nicht, welche Schätze es noch in den Kirchen gibt. Auf der Suche nach ihnen bin ich dann fündig geworden. Ich entdeckte den Engel mit meinem Gesicht. Damals habe ich noch an einen Zufall geglaubt, heute nicht. Für mich ist das heute Bestimmung. Schicksal. Jemand hat mich hingeführt.«
    »Und wer?«
    »Ja, das weiß ich nicht. Das Schicksal, wie auch immer. Nur begreife ich nicht, dass der Kopf des Engels plötzlich die Gesichtsumrisse meines Vaters erhielt. Das will mir nicht in den Kopf.«
    »Aber du bist immer wieder in die Kirche gegangen, um dir den Engel anzuschauen.«
    »Sicher.«
    »Hattest du einen Grund?« Jane winkte ab. »Dumme Frage.«
    Mabel Dennings lächelte. »Nein, nein,
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