Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1246 - Die Macht des Träumers

Titel: 1246 - Die Macht des Träumers
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
man ihnen zuviel Beachtung schenkt.
    Gesils Herz klopfte, als wollte es zerspringen; die lauernde, gnadenlose Neugier der Beobachter schnürte ihr die Kehle zu. Das Gefühl war so intensiv, daß es ihr körperliche Pein bereitete. Die Neugier der Beobachter war physisch wie die Berührung kalter, feuchter Hände.
    Aber ich bin kein Mensch! schrie Gesil mit ihrer Gedankenstimme. Ich bin eine Inkarnation Vishnas! Ich habe mich in Varnhagher-Ghynnst manifestiert. Ich bin nicht wie ein Mensch geboren worden. Wie können dann in mir die Ängste eines Menschen wohnen?
    Weil du dich für das Dasein als Mensch entschieden hast, kleine Schwester, raunte Vishna in ihrem Kopf. Und wenn du deinem Mann in seinem Kampf gegen Kazzenkatt beistehen willst... Wenn du verhindern willst, daß die Reduzierung der Raum-Zeit durch das Element der Finsternis fortschreitet, bis sie einen Punkt erreicht, von dem an es kein Zurück mehr gibt ... Dann konzentriere dich auf das Licht der Viren. Hörst du mich, Gesil?
    Konzentriere dich auf das Virenlicht! Wir können nicht mehr lange warten. Je länger die Finsternis andauert, desto größer wird die Gefahr für die Bevölkerung des Sonnensystems... Dinge können verschwinden, Menschen können verschwinden... Die Zerstörung der Raum-Zeit-Struktur kann an manchen Orten so weit fortschreiten, daß sie sich nicht mehr umkehren läßt... Konzentriere dich, kleine Schwester!
    Ja, dachte Gesil benommen, ich werde es tun. Ich werde mich konzentrieren und nicht mehr an die Schrecken denken, die durch die Finsternis schleichen...
    Mühsam rang sie ihre Furcht nieder.
    Ihr Herzschlag beruhigte sich nach und nach, während sich ihre verkrampfte Muskulatur entspannte. Noch immer spürte sie, wie sie aus der Schwärze heraus belauert wurde, aber der Gedanke an Perry gab ihr die Kraft, all ihre Ängste zu überwinden. Der Mann, den sie mehr als alles andere in der Welt liebte, mehr als ihr eigenes Leben, befand sich in tödlicher Gefahr. Er kämpfte, aber er würde den Kampf verlieren, wenn sie ihm nicht beistand, denn er mußte in der Domäne seines Gegners kämpfen - in der Region des Zerotraums.
    Allmählich glätteten sich die Wogen ihrer Gedanken. Frieden erfüllte sie, und als der Frieden kam, verschwanden die lauernden Beobachter. Nur die Finsternis blieb absolut.
    Aber dann, langsam und zögernd, wuchs eine Kraft in ihr, die nichts mit körperlicher Stärke gemein hatte. Die Kraft war immer in ihr gewesen - und gleichzeitig strömte sie von außen auf sie ein.
    Gesil hatte die Augen geschlossen, aber das spielte keine Rolle.
    Das Licht der Viren drang nicht über den Umweg der Augen in ihr Bewußtsein, sondern es entstand in ihrem Geist, wurde heller und heller und füllte sie schließlich aus.
    Es war ein gläsernes Licht: Es klirrte in der Nacht, der längsten Nacht der Erde, und das Klirren war wie ein Vorbote der Glockenschläge, die bald das Ende dieser Nacht einläuten würden.
    Bald. Wenn die Arbeit getan war.
    Als das Licht der Viren sie von Kopf bis Fuß erfüllte, als es so hell wie das Feuer einer Sonne in ihrem Bewußtsein brannte und ihrem Willen die Festigkeit unzerbrechlichen Glases verliehen hatte, griff Gesil mit ihren Gedanken hinaus in die Nacht. Sie brauchte nicht zu suchen. Sie wußte, wohin sie sich wenden mußte.
    Das Virenlicht zeigte ihr den Weg.
    Komm! sagte Vishna. Viren glitzerten wie Diamanten in ihrem Haar, ihren Augen, auf ihrer Haut. Komm, Schwester! Sie streckte die Hand aus, und Gesil ergriff die Hand, und mit einem Schritt ließ sie die leere, stille Welt der Finsternis hinter sich und betrat die Mikroweit der Virochips.
    In der Ferne stieg brüllend und mächtig ein Geysir aus ungezählten Informationsbruchstücken in den Himmel der Virenwelt. Aus dem stahlblauen Himmel - der dem Himmel der Erde nachempfunden war - löste sich ein dunkler Punkt und stürzte wie ein Raubvogel auf den Informationsgeysir nieder. Im Sturz verwandelte sich der dunkle Punkt und enthüllte seine wahre Natur: Ein Sturmreiter im schimmernden Schwarz der Virenrüstung, bäuchlings auf seinem Virenjet liegend, in einer Hand ein Netz aus rot leuchtenden Energiefäden.
    Der Sturmreiter winkte, als er Vishna und Gesil entdeckte, und sie erwiderten den stummen Gruß.
    Dann liefen sie Hand in Hand auf den Mahlstrom aus Myriaden Informationen zu und tauchten in die Bilderflut ein, ließen sich von der reißenden Strömung davontragen, die jeden Sturmreiter trotz seiner Virenrüstung zermalmt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher